Merkblatt Katze Schwanz

Tierart: Katze
Defekt an Körperteil: Schwanz
QUEN-Merkblatt Nr. 1
Bearbeitungsstand: 24.02.2023
Tierart: Katze
Defekt an Körperteil: Schwanz
QUEN-Merkblatt Nr. 1
Bearbeitungsstand vom 24.02.2023

1. Beschreibung des Merkmals

Eine angeborene Schwanzlosigkeit bei Wirbeltieren wird als Anurie beschrieben. Sind einige Schwanzwirbel noch vorhanden, wird der Begriff Brachyurie für eine verkürzte Schwanze/Rute verwendet. Die unterschiedlichen Ausprägungen (Modifikationen) des Defektes zeigen völlig schwanzlose (rumpy) bis hin zu stummelschwänzigen (rumpy riser, stumpy) Katzen. Der vollständige Schwanzwirbelverlust (rumpy) ist auch durch eine ausgeprägte Einbuchtung am Ende der Lendenwirbelsäule sichtbar.

2.1 Bild 1

Foto: Brachyurie (rumpy riser), Manx
Michelle Weigold Lizenz: CC BY-SA 3.0

2.1 Bild 2

Foto: Brachyurie (stumpy), Cymric
Jumpinjim Lizenz: CC BY-SA 3.0

3. Betroffene Katzenrassen

Manx, Cymric, Japanese Bobtail, American Bobtail, Pixie-Bob, Kurilian Bobtail, Abyssinian Bobtail, American Lynx, American Miniature Cat, American Ringtail, Anglesey Bobtail, Blynx, Bonx, Burmax, Cape Breton Bobtail, Curley Tailed Cat, Desert Lynx, Kellas Cats, Dufftown Cat, Highlander.

Die Liste der aufgeführten Katzenrassen ist nicht vollständig – Kreationen sogenannter Designer-Katzen führen zu ständigen Neuvorstellungen.

4. Vorkommen bei anderen Tierarten

Veränderungen am Schwanz in Form von Verkürzungen, Verkrüppelungen, Distorsionen, Fehlbildungen oder Beweglichkeitseinschränkungen der Wirbel kommen bei vielen Tierarten, wie z.B. Hunden, Schweinen, Rindern, Schafen und Hühnern vor.

Häufigkeit, Erbgang und klinische Bedeutung sind dabei je nach Spezies und Rasse unterschiedlich.

5. Mit dem Merkmal möglicherweise verbundene Probleme/Syndrome

Die Defekte der Schwanzlosigkeit (rumpy) oder Kurzschwänzigkeit (rumpy riser, stumpy) können Einfluss auf die Beweglichkeit der Halswirbel haben. Die Anzahl der fehlenden Lenden-, Kreuzbein- und Schwanzwirbel soll in einem proportionalen Verhältnis zu den damit assoziierten Missbildungen sowie dem Auftreten juveniler Sterblichkeit stehen. 

Rumpy-riser-Katzen können aufgrund der starren Wirbel ihren Schwanz nur senkrecht nach oben bewegen.

6. Symptomatik und Krankheitswert der oben genannten Defekte: Bedeutung/Auswirkungen des Defektes auf das physische/ psychische Wohlbefinden (Belastung) des Einzeltieres u. Einordnung in Belastungskategorie

Die einzelnen zuchtbedingten Defekte werden je nach Ausprägungsgrad unterschiedlichen Belastungskategorien (BK) zugeordnet. Die Gesamt-Belastungskategorie richtet sich dabei nach dem jeweils schwersten am Einzeltier festgestellten Defekt. Das BK-System als Weiterentwicklung nach dem Vorbild der Schweiz ist noch im Aufbau, daher sind die hier vorgenommenen BK-Werte als vorläufig anzusehen.

Physisch: 

Bei der Manx Katze sind Brachy- und Anurie häufig mit Fehlbildungen des Beckens und der Wirbelsäule vergesellschaftet, wobei das Ausmaß der Defekte an die Schwanzlänge gekoppelt zu sein scheint. Beispiele für Wirbelsäulen- oder Rückenmarksdefekte sind u.a. die Verkürzung der Lenden- und Brustwirbelsäule oder eine offene Wirbelsäule (Spina bifida). Der Defekt kann außerdem zu Fehlbildungen des Gehirns (Anenzephalie) und zu einem ausgeprägten Exophthalmus führen.

Bei den Manx-Katzen treten außerdem auf: Stuhl- und Harninkontinenz, Rektumprolaps, vollständige oder teilweise Lähmung von Gliedmaßen (hoppelndes Gangbild, Hinterherschleifen der Gliedmaße), Fehlbildungen des Enddarms, u.a.

Die Japanese Bobtail-Katze ist zwar deutlich von weniger Anomalien und Krankheitserscheinungen betroffen – ihre vorhandenen Schwanzwirbeldeformationen lösen bei Berührung der entsprechenden Regionen und je nach Ausprägung der Zuchtform jedoch starke Schmerzen bei den Tieren aus.

Psychisch:

Der Schwanz dient Katzen zur Balance beim Laufen und Klettern – er ist außerdem ein wichtiges Kommunikationsmittel. Kurzschwänzige und schwanzlose Katzen sind in ihren Kommunikationsmöglichkeiten und Bewegungsabläufe stark eingeschränkt: ihr arteigenes Ausdrucksverhalten und die Kommunikation unter den Artgenossen sind erheblich gestört.

Belastungskategorie: Noch nicht eingeordnet.

7. Vererbung, Genetik, ggf. bekannte Genteste

Genetisch liegt bei Manx- und Bobtailkatzen ein einfach autosomal dominanter Erbgang mit unvollständiger Penetranz und variabler Expressivität vor, der homozygot letal wirkt. Der Erbgang der sporadischen Brachy- und Anurie bei anderen Rassen ist nicht abschließend geklärt. Sowohl die Schwanzlosigkeit als auch die Kurzschwänzigkeit sind gut untersuchte vererbte Qualzuchtmerkmale, deren Ausbildung je nach Rasse auf unvollkommen dominantem Erbgang mit variablem Grad der Merkmalsausprägung zurückgeführt werden kann. Mehr dazu s. Literatur.

8. Diagnose – weitergehende Untersuchungen

Röntgendiagnostik und ggf. weitere bildgebende Verfahren bei Tieren mit Rutendeformationen und ausführliche neurologische Untersuchungen können zur weiteren Einteilung des Schweregrades und zur Bestimmung der vorliegenden Schwanzwirbelanzahl sowie dem Ausschluss weiterer Missbildungen durchgeführt werden.

9. Aus tierschutzfachlicher Sicht notwendige oder mögliche Anordnungen

Entscheidungen über Zucht- oder Ausstellungsverbot sollten im Zusammenhang  mit der Belastungskategorie (BK) getroffen werden. Ausschlaggebend für ein Zuchtverbot kann je nach Ausprägung und Befund sowohl der schwerste, d.h. das Tier am meisten beeinträchtigende Befund, und dessen Einordnung in eine der Belastungskategorien (BK) sein, oder auch die Zusammenhangsbeurteilung, wenn viele  einzelne zuchtbedingte Defekte vorliegen. Berücksichtigt werden sollte ggf. auch der  individuelle Inzuchtkoeffizient eines Tieres. 

a) notwendig erscheinende Anordnungen

–   Zuchtverbot: (unmittelbar auf § 11b gestützte Anordnung nach § 16a Abs. 1 S. 1) 

– Ausstellungsverbot: Bei dem Tier besteht aufgrund der sichtbaren Veränderung der Verdacht einer Qualzucht gem. §11b TierSchG, deshalb wird die Vorstellung des Tieres zur Bewertung und Ausstellung untersagt (ggf. muss zusätzlich eine Mitverantwortung der Richter und/oder Ausstellungsveranstalter für ein rechtswidriges Verhalten = Zucht entgegen §11b TierSchG berücksichtigt werden).

b) mögliche Anordnungen

–  Anforderung eines Genomprofils

–  Dauerhafte Unfruchtbarmachung, ggf. Überweisung zu weiterer fachtierärztlicher klinischer Untersuchung.

Bitte beachten:

Maßnahmen der zuständigen Behörde müssen erkennbar geeignet sein, auch in die Zukunft wirkend Schaden von dem betroffenen Tier und/oder  dessen Nachzucht abzuwenden. Es handelt sich im Hinblick auf Art und Bearbeitungstiefe von Anordnungen und Zuchtverboten immer um Einzelfallentscheidungen im Ermessen der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung der vor Ort vorgefundenen Umstände.

10. Allgemeine tierschutzrechtliche Bewertung

Aus tierärztlicher Sicht sind Katzen mit den oben beschriebenen Defekten/ Syndromen in Deutschland gemäß §11b TierSchG als Qualzucht einzuordnen.

Dabei ist zu beachten, dass das Zuchtverbot nicht nur dann greift, wenn mit Tieren gezüchtet wird, die selbst qualzuchtrelevante Merkmale aufweisen (Merkmalsträger), sondern auch dann, wenn bekannt ist oder bekannt sein muss, dass ein zur Zucht verwendetes Tier Merkmale vererben kann, die bei den Nachkommen zu einer der nachteiligen Veränderungen führen können (Anlageträger; insbesondere Tiere, die bereits geschädigte Nachkommen hervorgebracht haben; vgl. Binder § 5 ÖTSchG zu Z 1).

 – Ein wichtiges Indiz für einen erblichen Defekt ist, dass eine Erkrankung oder Verhaltensabweichung bei verwandten Tieren häufiger auftritt als in der Gesamtpopulation. Gegen einen Schaden spricht nicht, dass sich die Rasse oder Population über längere Zeit als lebensfähig erwiesen hat (vgl. Lorz/Metzger § 11b Rn. 12).

 – Das Verbot gilt unabhängig von der subjektiven Tatseite, also unabhängig davon, ob der Züchter selbst die Möglichkeit der schädigenden Folgen erkannt hat oder hätte erkennen müssen (Lorz/Metzger § 11b Rn. 4). Wegen dieses objektiven Sorgfaltsmaßstabes kann er sich nicht auf fehlende subjektive Kenntnisse oder Erfahrungen berufen, wenn man die jeweiligen Kenntnisse und Erfahrungen von einem sorgfältigen Züchter der jeweiligen Tierart erwarten kann. 

– Vorhersehbar sind erbbedingte Veränderungen bei den Nachkommen auch dann, wenn ungewiss ist, ob sie erst nach einem Generationensprung in späteren Generationen auftreten (vgl. Goetschel in Kluge § 11b Rn. 14).

Begründung:

Gem. §11b TierSchG ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten, soweit züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass als Folge der Zucht bei der Nachzucht oder den Nachkommen u.a.

  • erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 1 TierSchG) oder
  • mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 a) TierSchG) oder
  •  die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 c) TierSchG).

Das Züchten oder Vermehren von schwanzlosen und stummelschwänzigen Katzen erfüllt den Tatbestand der Qualzucht durch: 

– das vollständige oder teilweise Fehlen von Organen

– die teilweise oder vollständige Funktionslosigkeit von Organen

– die mit Sicherheit zu erwartenden Schmerzen oder Leiden und Schäden bei dem Tier selbst und bei den Nachkommen

Bei Manx- und Cymric-Katzen muss zusätzlich davon ausgegangen werden, dass sowohl homozygote als auch heterozygote Nachkommen mit Missbildungen behaftet sind. Diese mit Schmerzen, Leiden und Schäden assoziierten Defekte erfordern daher ein Zuchtverbot.

Ein Tier mit einer genetisch bedingten verkürzten, und funktionslosen oder gar völlig fehlender Rute, ist bereits gemäß dem sogen. Qualzuchtgutachten (1999) als Qualzucht zu klassifizieren. Das Gutachten bezog sich damals schon auf die Gesetzgebung vor der Einfügung des Artikels 20a in das Grundgesetz (Tierschutz als Staatsziel).

Gem. §11b TierSchG (aktuelle Fassung) ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten […], soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse […] erwarten lassen, dass als Folge der Zucht […] bei der Nachzucht, den […] Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder […] bei den Nachkommen mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten […]

Beim Schwanz der Katze handelt es sich um ein Körperteil, das für das artgerechte Verhalten des Tieres von nicht unerheblicher Bedeutung ist und bestimmte Funktionen zu erfüllen hat. Die erhebliche Einschränkung des arteigenen Ausdrucks- und Kommunikationsverhaltens ist als Verhaltensstörung und Leiden zu werten. 

Wichtig: Zusätzlich ist zu beachten, dass sich die Beschreibung und Beurteilung in diesem Merkblatt auf ein sichtbares Symptom einer Qualzucht bezieht. Bei einem großen Teil dieser Tiere sind zusätzliche sichtbare und/ oder verdeckte Defekte und Dispositionen vorhanden oder bekannt, die durch zusätzliche Untersuchungen und/oder Genteste detektiert werden können.

Fazit: Das Tier selbst ist als Defekt/Qualzucht zu klassifizieren. Züchterische Erkenntnisse lassen nicht nur erwarten, dass bei den Nachkommen mit Schmerzen, Leiden und Schäden verursachenden Einschränkungen gerechnet werden muss – es muss auch als erwiesen angesehen werden, dass ein großer Anteil der Nachkommen mit nicht unerheblichen Einschränkungen des Wohlbefindens leben werden müssen.

Ausführliche rechtliche Bewertungen und/oder Gutachten können, soweit schon vorhanden, auf Anfrage Veterinärämtern zum dienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt werden.

11. Relevante Rechtsprechung

(nicht zum fehlenden Schwanz, aber zu fehlenden Körperteilen)

VG Berlin, Urteil vom 23 September 2015-24K 202.14-, juris Rn.26

VG Hamburg, B. v. 4. 4. 2018, 11 E 1067/18, juris Rn. 47

VGH Kassel Beschl. v. 26.6.2003, 11 TG 1262/03, RdL 2003, 277, 27

12. Anordnungsbeispiel vorhanden?

Nein.

13. Literaturverzeichnis/ Referenzen/ Links

An dieser Stelle wird nur eine Auswahl an Quellen zu den oben beschriebenen Defekten  und ggf. allgemeine Literatur zu zuchtbedingten Defekten bei Katzen angegeben. Umfangreichere Literaturlisten zum wissenschaftlichen Hintergrund werden auf Anfrage von Veterinärämtern ausschließlich an diese versendet.

Hinweis: Die Beschreibung von mit dem Merkmal verbundenen Gesundheitsproblemen, für die bisher  keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, erfolgen vor dem Hintergrund entsprechender Erfahrungen der Experten und Expertinnen aus der tierärztlichen Praxis, und/oder universitären Einrichtungen, sowie öffentlich frei einsehbaren Datenbanken oder Veröffentlichungen von Tier-Versicherungen und entstammen daher unterschiedlichen Evidenzklassen.

Da Zucht und Ausstellungswesen heutzutage international sind, beziehen sich die Angaben in der Regel nicht nur auf Prävalenzen von Defekten oder Merkmalen in einzelnen Verbänden, Vereinen oder Ländern.

Quellen:

Gough, A. et al. (2018): Breed Predispositions to Disease in Dogs and Cats.

Breed Predispositions to Disease in Dogs and Cats, 3rd Edition | Wiley

Schöll, Karina (2021): Qualzuchtmerkmale bei der Katze und deren Bewertung unter tierschutzrechtlichen Aspekten. Dissertation. Online verfügbar unter http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2021/15863/index.html.