Merkblatt Katze Vibrissen

Tierart: Katze
Defekt an Körperteil: Vibrissen
QUEN-Merkblatt Nr. 20
Bearbeitungsstand: 22.02.2023
Tierart: Katze
Defekt an Körperteil: Vibrissen
QUEN-Merkblatt Nr. 20
Bearbeitungsstand vom 22.02.2023

1. Beschreibung des Merkmals

Katzen verfügen wie viele andere Tierarten (z.B. Hunde, Nagetiere, Pferde, Robben oder Waschbären) über Vibrissen. Diese gelten als Sinnesorgane, die wichtige Funktionen erfüllen.

Beschreibung:

Fehlende oder teilweise fehlende, verkürzte oder in Anzahl oder Ausprägung funktionseingeschränkte Vibrissen (Tast- oder Sinushaare) im Gesicht und auf Höhe des Karpalgelenks . (Zusätzlich zu den Vibrissen neben der Schnauze haben Katzen kurze Mikrovibrissen an der Oberlippe, dem Kinn, über den Augen an den Vorderläufen und an der Bauchunterseite).

Der Defekt existiert bei Rassen, die auf Haarlosigkeit oder Anomalien bzw. Strukturänderungen des Haarkleides gezüchtet werden. Bei Nacktkatzen, Peterbald und Rexkatzen mit veränderter Fellstruktur (z.B Cornish Rex, Devon Rex, Selkirk Rex oder La Perm) fehlen die Tasthaare oder sind in Anzahl oder Ausprägung  funktionseingeschränkt. Das Merkmal kann zudem im Rahmen eines genetisch bedingten gestörten Haarwachstums (Hypotrichosis congenita) auch bei eigentlich normal behaarten Rassen (Burma, engl. Burmese; Siam, engl. Siamese) vorkommen.

2.1 Bild 1

Foto: Cornish Rex.
Stefan Groenveld
CC BY-SA 2.5


2.1 Bild 2

Foto: Sphynx.
QUEN Archiv

Weitere Fotos finden Sie hier (Bild anklicken):

3. Betroffene Katzenrassen

Das Merkmal fehlende oder durch Umgestaltung funktionseingeschränkte Vibrissen kann bei Tieren folgender Rassen auftreten: 

Katzen mit fehlendem, partiell fehlendem Haarkleid oder haarlose Varianten und Rassen mit strukturverändertem Fell:

Sphinx (Sphynx, auch Canadian Sphynx genannt) 

Durch die ursächliche genetische Variante fehlt den Tieren das Fell bis auf kurze weiche Haare an den Ohren, dem Maul, dem Schwanz, den Pfoten und dem Skrotum. Die Vibrissen können spärlich, kurz, gekräuselt oder fein ausgebildet sein oder gänzlich fehlen.  Sphynx-Katzen mit normal ausgeprägten Tasthaaren kommen ebenfalls vor.

Kohana (Hawaiian Hairless)

haben in der Regel keine Vibrissen.

Katzen mit nachteilig verändertem Haarkleid in Struktur, Form, Länge oder Dichte:

Das Merkmal der erblich bedingten Umgestaltung der Vibrissen trittin der Regel bei folgenden Rassen auf:

Cornish Rex

Ein Großteil der Tiere hat gebogene, verdrehte, kurze und/oder abgebrochene Vibrissen.

German Rex

Die Vibrissen sind in der Regel gekräuselt, verdreht, gebogen oder fehlen gänzlich.

Devon Rex 

Die Vibrissen im Gesicht und über den Augen sind in der Regel abgebrochen oder fehlen gänzlich.

Selkirk Rex

Die Vibrissen der gelockten Tiere sind in der Regel gewellt und neigen dazu, schnell zu brechen. Sie bleiben das gesamte Leben der Katze kurz.

Dwelf

Neben der Haarlosigkeit sind die Tiere in der Regel durch einen Funktionsverlust der Tasthaare gekennzeichnet.

Don Sphynx/Donskoy 

Die Rasse hat einen vergleichbaren Phänotyp zur Sphynx. Die Vibrissen können spärlich, kurz, gekräuselt oder fein ausgebildet sein oder gänzlich fehlen. Katzen mit normal ausgeprägten Tasthaaren können ebenfalls vorkommen.

Peterbald

Die Vibrissen (Tast- oder Sinushaare) sind in der Regel gelockt, dick, unterschiedlich lang und können zum Teil abgebrochen sein.

Minskin

Die Tiere sind fast haarlos und haben in der Regel funktionslose Tasthaare.

LaPerm

Bei dieser noch sehr jungen Katzenrasse sind die Vibrissen in der Regel gelockt und damit stark in ihrer Funktion eingeschränkt.

Die Liste der aufgeführten Katzenrassen ist insbesondere zu weiteren Haartypen (z.B. auch mit übermäßigem Fell oder fehlender Unterwolle) nicht vollständig. Außerdem werden im Rahmen sogenannter Designer-Zuchten ständig neue “Kreationen“ vorgestellt. So tritt das Merkmal bei neueren Rassen, die aus Kreuzungen mit den zuvor genannten Rassen entstammen, auf. Da die Rassen Bambino, Elf, Levkoy, Tennessee Rex, Oregon Rex, Dutch Rex auf Sphinx-Katzen oder Rex-Katzen zurückgehen, kann davon ausgegangen werden, dass auch die Vibrissenausbildung beeinflusst ist. 

Katzen, deren Vibrissen durch andere Ursachen fehlen oder verändert sind:

Bei Birma-Katzen kommt ein Hypotrichosis-Phänotyp vor, mit dem schwach ausgebildete Vibrissen assoziiert sein können. Bei Burma-Katzen (Burmese) treten im Rahmen der Brachyzephalie (frontonasale Dysplasie, autosomal rezessive Vererbung) Abnormalitäten des Gesichts auf, die auch die Tasthaare betreffen.

4. Vorkommen bei anderen Tierarten

Haarlosigkeit oder gestörtes Haarwachstum oder strukturverändertes Haarkleid und damit einhergehende veränderte oder fehlende Vibrissen kommen bei Hunden, Mäusen, Ratten, Meerschweinchen, Hamster, usw. vor.

5. Mit dem Merkmal verbundene Probleme/Syndrome

Minimale Hypotrichose bei Cornish Rex.

Vorkommen von autosomal rezessiv vererbter Hypotrichose und geringer Lebenserwartung bei Birma-Katzen des Hypotrichosis-Phänotyps (CHSLE = Congenital Hypotrichosis and Short Life Expectancy).

6. Symptomatik und Krankheitswert: Bedeutung/Auswirkungen des Defektes auf das physische/ psychische Wohlbefinden des Einzeltieres u. Einordnung in Belastungskategorie

Die einzelnen zuchtbedingten Defekte werden je nach Ausprägungsgrad unterschiedlichen Belastungskategorien (BK) zugeordnet. Die Gesamt-Belastungskategorie richtet sich dabei nach dem jeweils schwersten am Einzeltier festgestellten Defekt. Das BK-System als Weiterentwicklung nach dem Vorbild der Schweiz ist noch im Aufbau, daher sind die hier vorgenommenen BK-Werte als vorläufig anzusehen.

Physisch:

Die Tasthaare sind als Sinnesorgan zu werten und haben verschiedene Funktionen.

Die Vibrissen unterstützen Katzen in der Wahrnehmung ihrer Umgebung und ihrer eigenen Körperposition. Vibrissen sind essentiell für die Orientierung der Katzen. Sie liefern Informationen über die Position des Kopfes und der Beine im Verhältnis zu naheliegenden Objekten wie z.B auch Beutetieren. Mit Hilfe der Vibrissen werden auch feinste Luftbewegungen wahrgenommen und Bewegungen von Beutetieren ausgemacht.

Die Vibrissen im Gesicht üben eine Schutzfunktion, insbesondere der Augen, aus. Dort funktionieren sie wie Wimpern. Die Vibrissen im Gesicht sind mit intrinsischer Muskulatur ausgestattet, mit denen die Katzen die Tasthaare bewegen können. Das erlaubt ihnen, den Raum und die Oberflächen um sie herum genau und kontrolliert zu erfassen, auch bei wenig Licht. 

Mit dem Fehlen bzw. der eingeschränkten oder vollständigen Funktionslosigkeit der Vibrissen, fehlt ein Sinnesorgan oder ist ein Sinnesorgan geschädigt.

Psychisch:

Die Vibrissen üben eine Informationsfunktion aus und helfen den Tieren, Abstände zu Gegenständen und anderen Tieren einzuschätzen. Sie spielen eine wichtige Rolle in verschiedenen arttypischen Verhaltensweisen von Katzen:

  • Soziale Kommunikation (inkl. Angriff und Verteidigung) und Ausdrucksverhalten (Entspannung, Angst, etc.)
  • Beutefang
  • Fortbewegung bei geringen Lichtverhältnissen 

Es wird zudem diskutiert, ob die Tasthaare auch für das Milchaufnahmeverhalten (“nursing”) von Kitten relevant sind.

Fehlende oder veränderte Vibrissen können in Verletzungen und Einschränkungen des arttypischen Verhaltens resultieren.  Es kann zu Unsicherheit und Orientierungslosigkeit durch das Fehlen oder die Verkürzung der Tasthaare kommen.

Fehlende Möglichkeit bei Schmerzen das sogenannte Schmerzgesicht vollständig auszudrücken. Die Stellung der Vibrissen spielt bei der Katze neben anderen Beurteilungskriterien (z.B. Ohrstellung, Kopfhaltung, Schnauzenposition, Lidstellung) eine wichtige Rolle für die Erkennung von Schmerzen durch den Menschen.

Belastungskategorie: noch nicht eingeordnet.

7. Vererbung, Genetik, ggf. bekannte Genteste

Sphinx (Spynx; auch Canadian Sphynx oder Canadian Hairless genannt)

Sphinx-Katzen sind homozygot für ein autosomal rezessives Allel (hr oder Canadian hairless) des KRT71-Gens (Keratin 71), auch KRT71hr oder hr genannt. Ein weiteres, gegenüber hr rezessives Allel am gleichen Genort ist ursächlich für gekräuseltes Fell (siehe Devon Rex) Der Genotyp hr/re führt somit ebenfalls zu einem haarlosen Phänotyp.Ein Gentest liegt vor.

Kohana (Hawaiian Hairless)

Die Haarlosigkeit der Kohana-Katzen wird durch die Variante hr im Gen KRT71 vererbt (siehe Sphynx).

Cornish Rex

Eine Mutation im Gen für den Lysophosphatidsäurerezeptor 6 (LPAR6), auch bekannt als P2RY5, ist die Ursache für die autosomal rezessive vererbte Haarstruktur (gelocktes Fell) der Cornish Rex. Liegt das, innerhalb der Rasse fixierte, Allel homozygot vor, fehlt den Katzen das Deckhaar und das Wollhaar ist verändert. 

Es liegt noch kein Gentest vor.

German Rex

Die German Rex Rasse wurde aus der Cornish Rex Rasse gezüchtet und besitzt ebenfalls die autosomal rezessive LPAR6 Variante. 

Devon Rex

Ursache des veränderten Fells (gekräuselt/gewellt) ist eine Mutation im KRT71 Gen (einem entscheidenden Gen für die Keratinisierung im Haarfollikel). Das Allel KRT71re ist für das gekräuselte Fell der Devon Rex verantwortlich, das Allel KRT71hr ist im homozygoten Genotyp für die Haarlosigkeit der Sphynx verantwortlich.
Die Dominanzfolge ist N > hr > re.
Ein Gentest liegt vor.

Selkirk Rex

Dem aktuellen wissenschaftlichen Stand nach besitzen Selkirk Rex eine autosomale, unvollständig dominante Variante im Gen KRT71, die zur Ausprägung des lockigen Merkmals führt. Ein Gentest liegt vor.

Dwelf 

Kreuzung aus Elf und Munchkin/Bambino bzw. Kreuzung aus Sphinx-Katze und American Curl-Rassen, Vererbung der Fellstruktur und -textur siehe Sphynx .

Bambino

Kreuzung aus Sphynx und Munchkin. Vererbung der Fellstruktur und -textur siehe Sphynx.

Elf

Kreuzung aus Sphynx und American Curl. Vererbung der Fellstruktur und -textur siehe Sphynx.

Don Sphynx/Donskoy 

siehe Peterbald

Peterbald

Kreuzung aus Don Sphynx und Siamese/Oriental Shorthair. 

Die für die Haarlosigkeit der Peterbald verantwortliche genetische Variante konnte bislang noch nicht molekulargenetisch identifiziert werden und befindet sich nach derzeitigem Wissensstand nicht im Gen KRT71 (im Unterschied zur Haarlosigkeit bei der Sphynx-Katze).  Möglicherweise kommt eine oder mehrere Varianten im LPAR6-Gen in Betracht, die für die unterschiedlichen mit Peterbald in Verbindung stehenden Phänotypen ursächlich sind. Eine Vier-Basen-Deletion in unmittelbarer Nähe der für die Hypotrichie der Cornish Rex-Katze ursächlichen Variante in LPAR6 wurde im Rahmen eines WES (whole exome sequencing) der Hauskatze bei einer Peterbald-Katze identifiziert.  In einer Studie konnte die Cornish Rex-Variante auch in der Rasse Donskoy identifiziert werden.  Da bei der Peterbald Katze nicht nur vollständig behaarte und vollständig haarlose Katzen, sondern auch teilweise unbehaarte Tiere sowie solche mit abweichendem Haartyp („velour coat“, „flockend coat“) vorkommen, geht man von einer unvollständigen Dominanz oder einer Compound-Heterozygotie (multiple Allele) aus. Ein Gentest für die Haarlosigkeit bei der Peterbald-Katze steht derzeit (Stand Januar 2023) noch nicht zur Verfügung.

Minskin

Teilweise haarlose Katze: Kreuzung aus Munchkin mit Sphinx oder Devon Rex. Vererbung der Fellstruktur und –textur siehe Sphynx bzw. Devon Rex.

Birma

Bei Birma-Katzen kommt ein Hypotrichosis-Phänotyp vor, mit dem schwach ausgebildete Vibrissen assoziiert sein können. Das autosomal rezessiv vererbte Syndrom ist durch angeborene Hypotrichose und eine kurze Lebenserwartung gekennzeichnet. Es wird vermutet, dass ein FOXN1-Allel (Forkhead Box N1), das bei Menschen, Mäusen und Ratten mit dem nackten Phänotyp assoziiert ist, für das Syndrom verantwortlich sein könnte. 

Burma (Burmese)

Bei Burma-Katzen (Burmese) treten im Rahmen der Brachyzephalie (frontonasale Dysplasie) (autosomal rezessive Vererbung) Abnormalitäten des Gesichts auf, die auch die Tasthaare betreffen. Ein Gentest liegt vor.

8. Diagnose – weitergehende Untersuchungen

Optische Identifizierung der fehlenden, unvollständig ausgebildeten oder durch Umgestaltung funktionsbeeinträchtigten Vibrissen.

9. Aus tierschutzfachlicher Sicht notwendige oder mögliche Anordnungen

Entscheidungen über Zucht- oder Ausstellungsverbot sollten im Zusammenhang  mit der Belastungskategorie (BK) getroffen werden. Ausschlaggebend für ein Zuchtverbot kann je nach Ausprägung und Befund sowohl der schwerste, d.h. das Tier am meisten beeinträchtigende Befund, und dessen Einordnung in eine der Belastungskategorien (BK) sein, oder auch die Zusammenhangsbeurteilung, wenn viele  einzelne zuchtbedingte Defekte vorliegen. Berücksichtigt werden sollte ggf. auch der  individuelle Inzuchtkoeffizient eines Tieres.

a) notwendig erscheinende Anordnungen 

–   Zuchtverbot: (unmittelbar auf § 11b gestützte Anordnung nach § 16a Abs. 1 S. 1) 

–  Ausstellungsverbot: Bei dem Tier besteht aufgrund der sichtbaren Veränderung der begründete Verdacht einer Qualzucht gem. §11b TierSchG, deshalb wird die Vorstellung des Tieres zur Bewertung und Ausstellung untersagt (ggf. muss zusätzlich eine Mitverantwortung der Richter und /oder Ausstellungsveranstalter für ein rechtswidriges Verhalten = Zucht entgegen §11b TierSchG berücksichtigt werden).

b) mögliche Anordnungen

–   Anforderung eines Genomprofils

–   dauerhafte Unfruchtbarmachung (Sterilisation bzw. Kastration) gem. §11b (2)

     ggf. Überweisung zu weiterer fachtierärztlicher klinischer Untersuchung.

Bitte beachten:

Maßnahmen der zuständigen Behörde müssen erkennbar geeignet sein, auch in die Zukunft wirkend Schaden von dem betroffenen Tier und/oder  deren Nachzucht abzuwenden. Es handelt sich im Hinblick auf Art und Bearbeitungstiefe von Anordnungen und Zuchtverboten immer um Einzelfallentscheidungen im Ermessen der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung der vor Ort vorgefundenen Umstände.

10. Allgemeine tierschutzrechtliche Bewertung

Aus tierärztlicher Sicht sind Katzen mit den oben beschriebenen Defekten/ Syndromen in Deutschland gemäß §11b TierSchG als Qualzucht einzuordnen.

Dabei ist zu beachten, dass das Zuchtverbot nicht nur dann greift, wenn mit Tieren gezüchtet wird, die selbst qualzuchtrelevante Merkmale aufweisen (Merkmalsträger), sondern auch dann, wenn bekannt ist oder bekannt sein muss, dass ein zur Zucht verwendetes Tier Merkmale vererben kann, die bei den Nachkommen zu einer der nachteiligen Veränderungen führen können (Anlageträger; insbesondere Tiere, die bereits geschädigte Nachkommen hervorgebracht haben; vgl. Binder § 5 ÖTSchG zu Z 1).

 – Ein wichtiges Indiz für einen erblichen Defekt ist, dass eine Erkrankung oder Verhaltensabweichung bei verwandten Tieren häufiger auftritt als in der Gesamtpopulation. Gegen einen Schaden spricht nicht, dass sich die Rasse oder Population über längere Zeit als lebensfähig erwiesen hat (vgl. Lorz/Metzger § 11b Rn. 12).

 – Das Verbot gilt unabhängig von der subjektiven Tatseite, also unabhängig davon, ob der Züchter selbst die Möglichkeit der schädigenden Folgen erkannt hat oder hätte erkennen müssen (Lorz/Metzger § 11b Rn. 4). Wegen dieses objektiven Sorgfaltsmaßstabes kann er sich nicht auf fehlende subjektive Kenntnisse oder Erfahrungen berufen, wenn man die jeweiligen Kenntnisse und Erfahrungen von einem sorgfältigen Züchter der jeweiligen Tierart erwarten kann. 

– Vorhersehbar sind erbbedingte Veränderungen bei den Nachkommen auch dann, wenn ungewiss ist, ob sie erst nach einem Generationensprung in späteren Generationen auftreten (vgl. Goetschel in Kluge § 11b Rn. 14).

Begründung:

Gem. §11b TierSchG ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten, soweit züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass als Folge der Zucht bei der Nachzucht oder den Nachkommen u.a.

  • erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 1 TierSchG) oder
  • mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 a) TierSchG) oder
  •  die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 c) TierSchG).

Die Zucht von Tieren mit einem oder mehreren der oben beschriebenen Defekte erfüllt den Tatbestand der Qualzucht durch:

Fehlende oder teilweise fehlende, verkürzte oder in Anzahl oder Ausprägung funktionseingeschränkte Vibrissen (Tast- oder Sinushaare). Es ist von einer von § 11b Abs. 1 TierSchG umfassten Umgestaltung des Körperteils Haut auszugehen.

Das bewusste Züchten von Katzen mit dem Merkmal erfüllt den Tatbestand der Qualzucht durch:

  • das vollständige oder teilweise Fehlen von Organen (Vibrissen)
  • die teilweise oder vollständige Funktionslosigkeit von Organen (Vibrissen)
  • die Erwartung von Schmerzen, Leiden und Schäden

Bei Katzen mit fehlendem, partiell fehlendem oder nachteilig veränderten Vibrissen, wie z.B. bei den Sphinx- oder Rex-Katzen, muss davon ausgegangen werden, dass sowohl homozygote als auch heterozygote Nachkommen mit dem selbst im Rassestandard beschriebenen  Defekten (Körperschäden) behaftet sind. Diese mit Leiden und Schäden assoziierten Defekte erfordern ein Zuchtverbot.

Ein Tier mit einer genetisch bedingten Abweichung seiner Tasthaare, ist bereits gemäß dem sogenannten Qualzuchtgutachten (1999) als Qualzucht zu klassifizieren. Das Gutachten bezog sich damals schon auf die Gesetzgebung vor der Einfügung des Artikels 20a in das Grundgesetz (Tierschutz als Staatsziel).

Gem. §11b TierSchG in der aktuellen Fassung ist verboten, Wirbeltiere zu züchten […], soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse […] erwarten lassen, dass als Folge der Zucht […]bei der Nachzucht, den […] Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder […] bei den Nachkommen mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten […]

Tasthaare des Tieres sind Körperorgane, die für artgerechtes Verhalten und physiologische Vorgänge von erheblicher Bedeutung sind und wichtige Funktionen erfüllen. Über die Tasthaare werden Berührungsreize an das Gehirn übertragen, die den Tieren u. a. zur Orientierung dienen, um Objekte im Nahbereich unter 20cm wahrzunehmen. Die erhebliche Einschränkung des arteigenen Ausdrucks- und Kommunikationsverhaltens ist als Verhaltensstörung und damit als Leiden zu werten.

Wichtig: Zusätzlich ist zu beachten, dass sich die Beschreibung und Beurteilung in diesem Merkblatt auf das sichtbare Symptom (Vibrissen) einer Qualzucht bezieht. Bei einem großen Teil dieser Tiere können  zusätzliche sichtbare und/ oder verdeckte Defekte und Dispositionen vorhanden oder bekannt sein, die durch zusätzliche Untersuchungen und/oder Genteste detektiert werden können. 

Bereits das teilweise oder vollständige Fehlen oder die Umgestaltung eines für Katzen arteigenen Fells, das die ihm zukommende Funktion nicht mehr in ausreichendem Maße erfüllen kann, ist als Defekt zu werten.

Fazit: Das Tier selbst ist als Defekt/Qualzucht zu klassifizieren. Züchterische Erkenntnisse lassen nicht nur erwarten, dass bei den Nachkommen mit Schmerzen, Leiden und Schäden verursachenden Einschränkungen gerechnet werden muss – es muss auch als erwiesen angesehen werden, dass ein mehr oder weniger großer Anteil der Nachkommen mit nicht unerheblichen Einschränkungen des Wohlbefindens leben werden müssen.

Ausführliche rechtliche Bewertungen und/oder Gutachten können, soweit schon vorhanden, auf Anfrage Veterinärämtern zum dienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt werden.

11. Relevante Rechtsprechung

Deutschland:

VG Berlin, Urteil vom 23 September 2015-24K 202.14

VG Hamburg, B. v. 4. 4. 2018, 11 E 1067/18

12. Anordnungsbeispiel vorhanden?

  1. Bundesland Berlin, Juni 2014
  2. Bundesland Baden-Württemberg, Februar 2022.

Anordnungsbeispiele werden ausschließlich auf Anfrage Veterinärämtern zum dienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt

13. Literaturverzeichnis/ Referenzen/ Links

An dieser Stelle wird nur eine Auswahl an Quellen zu den oben beschriebenen Defekten und ggf. allgemeine Literatur zu zuchtbedingten Defekten bei Katzen angegeben. Umfangreichere Literaturlisten, zum wissenschaftlichen Hintergrund werden auf Anfrage von Veterinärämtern ausschließlich an diese versendet.

Hinweis: Die Beschreibung von mit dem Merkmal verbundenen Gesundheitsproblemen, für die bisher  keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, erfolgen vor dem Hintergrund entsprechender Erfahrungen der Experten und Expertinnen aus der tierärztlichen Praxis, und /oder universitären Einrichtungen, sowie öffentlich frei einsehbaren Datenbanken oder Veröffentlichungen von Tier-Versicherungen und entstammen daher unterschiedlichen Evidenzklassen.

Da Zucht und Ausstellungswesen heutzutage international sind , beziehen sich die Angaben in der Regel nicht nur auf Prävalenzen von Defekten oder Merkmalen in einzelnen Verbänden, Vereinen oder Ländern.

Quellen:

Binder R. (2019): Das österreichische Tierschutzrecht: Tierschutzgesetz und Tierversuchsgesetz 2012 mit ausführlicher Kommentierung. 4. Auflage. Wien: Edition Juridica in der MANZ’schen Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH (Juridica Praxiskommentar).

Kluge, H.-G. (2022): Hrsg. Tierschutzgesetz: Kommentar. 1. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer; (Rechtswissenschaften und Verwaltung Kommentare).

Lorz,  A.;, Metzger, E. (2019): Tierschutzgesetz: Mit Allgemeiner Verwaltungsvorschrift, Art. 20a GG sowie zugehörigen Gesetzen, Rechtsverordnungen und Rechtsakten der Europäischen Union : Kommentar. 7., neubearbeitete Auflage. München: C.H. Beck

Sachverständigengruppe Tierschutz und Heimtierzucht (1999): Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen). 

https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/gutachten-paragraf11b.html

Schöll K. Qualzuchtmerkmale bei der Katze und deren Bewertung unter tierschutzrechtlichen Aspekten [Dissertation]. Gießen: Justus-Liebig-Universität Gießen; 2021.