Merkblatt Katze Schwanz
Tierart: Katze
Defekt an Körperteil: Schwanz
QUEN-Merkblatt Nr. 1
Bearbeitungsstand: 27.10.2024
Tierart: Katze
Defekt an Körperteil: Schwanz
QUEN-Merkblatt Nr. 1
Bearbeitungsstand vom 27.10.2024
1. Beschreibung des Merkmals
Eine angeborene Schwanzlosigkeit bei Katzen wird als Anurie beschrieben. Hier fehlen die Schwanzwirbel komplett. Sind einige Schwanzwirbel noch vorhanden, wird der Begriff Brachyurie für einen verkürzten Schwanz verwendet. Die verschiedenen Ausprägungen des Defektes führen zu unterschiedlichen Phänotypen. Neben einem fehlenden oder stummelschwänzigen Schwanz kann dieser auch geknotet oder geknickt sein. Ebenso kann er in Kurven oder Winkeln verlaufen. Der vollständige Schwanzwirbelverlust ist häufig auch durch eine ausgeprägte Einbuchtung am Ende der Lendenwirbelsäule sichtbar.
3. Betroffene Katzenrassen
Manx
Manx-Katzen weisen verschiedene Ausprägungen des Defektes auf – von völlig schwanzlosen Katzen (rumpy) über stummelschwänzigen Katzen (rumpy riser, stumpy) bis zu Katzen mit einem voll ausgebildeten Schwanz. Der vollständige Schwanzwirbelverlust (rumpy) geht mit einer ausgeprägten Einbuchtung am Ende des Rückgrates einher. Beim „rumpy riser” verlängert sich das Kreuzbein nach oben, so dass kein Loch zu spüren ist. Beim „stumpy” ist ein kurzer, manchmal unregelmäßig geformter Stummelschwanz vorhanden, der nicht länger als 3 bis 4 cm ist. Die Länge des Schwanzes ist proportional zu der Anzahl an Schwanzwirbeln. Beim „rumpy”-Phänotyp fehlen die Schwanzwirbel vollständig, bei „rumpy riser” sind 1 bis 7 Steißbeinwirbel und bei „stumpy” 2 bis 14 Steißbeinwirbel vorhanden. Der „rumpy”-Phänotyp ist unter allen Rassen mit einem Defekt im Schwanz der einzige, bei dem der Schwanz komplett fehlt.
Im Vergleich zu anderen Hauskatzen ist bei der Manx-Katze die gesamte Wirbelsäule verkürzt, vor allem im hinteren Bereich. Manx-Katzen haben disproportional lange Hinterbeine, einen großen runden Kopf und eine runde Hinterpartie.
American Bobtail
Kurzer Schwanz, mit einer Mindestlänge von 3 cm tatsächlichen Knochen. Nach dem Rassestandard der World Cat Federation (WCF) darf der Schwanz bis zum Sprunggelenk der Katze reichen, aber nicht darüber hinaus. Die Schwänze sind gerade oder leicht geknotet oder geknickt. Das Ende des Schwanzes kann gekrümmt oder hakenförmig sein.
Japanischer Bobtail
Die Schwanzlänge entspricht etwa 5 bis 8 cm. In gestreckter Form ist der Schwanz ca. 10 bis 13 cm lang. Die Länge des Schwanzes variiert innerhalb der Rasse nicht signifikant. Der Schwanz kann entweder gerade sein oder eine oder mehrere Kurven und Winkel aufweisen. Am Ende des Schwanzes befindet sich oft eine Verdickung.
Karelian Bobtail
Der Schwanz ist zwischen 4 und 13 cm lang, geknickt und/oder gebogen.
Kurilischer Bobtail
Die Länge des Schwanzes beträgt 3 bis 8 cm. Er besteht aus ein oder mehreren Kurven und/oder Winkeln.
Mekong Bobtail
Der Schwanz hat mindestens drei Wirbel, darf jedoch nach dem Rassestandard der WCF nicht länger als ein Viertel der Körperlänge sein. Der Schwanz ist nicht gerade, sondern besteht aus Knicken und/oder Kurven, die an der Basis beginnen.
Pixie-Bob
Der Schwanzknochen muss mindestens 5 cm lang sein. Er darf nach Rassestandard maximal bis zum Sprunggelenk des gestreckten Beines reichen. Der Schwanz sollte gelenkig sein. Knicke und Kurven sind akzeptiert.
Toy-Bob
Der Schwanz ist länger als 3 cm und kürzer als ein Drittel der Körperlänge. Er ist flexibel und besteht aus mehreren Knicken und Kurven oder ist fast gerade.
Die Liste der aufgeführten Katzenrassen ist nicht vollständig – Kreationen sogenannter Designer-Katzen führen zu ständigen Neuvorstellungen.
4. Vorkommen bei anderen Tierarten
Veränderungen am Schwanz in Form von Verkürzungen, Verkrüppelungen, Distorsionen, Fehlbildungen oder Beweglichkeitseinschränkungen der Wirbel kommen bei vielen Tierarten, wie z.B. Hunden, Schweinen, Rindern, Schafen, Ratten, Mäusen und Hühnern vor, sind aber bei landwirtschaftlich genutzten Tieren – im Gegensatz zu bestimmten Katzen- oder Hunderassen – keine im Zuchtziel und vom Rassestandard her geforderten Veränderungen (Defekte) funktionaler Körperteile.
5. Mit dem Merkmal möglicherweise verbundene Probleme/Syndrome
Mit den genetischen Deformationen des Schwanzes beziehungsweise der Schwanzlosigkeit gehen bei Katzen verschiedene körperliche Anomalien einher:
- Sakralagenesie/-dysgenese]
- Diastematomyelia (eine Fehlbildung, bei der das Rückenmark geteilt ist)
- Tethered Cord (ein abnormal fixiertes Rückenmark)
- Intradural-Lipome (Fettansammlungen im Rückenmark)
- Spina bifida
- Syringomyelie
- Hydromyelie
- Harnsteinbildung – Struvit (Magnesium-Ammonium-Phosphat)
Körperliche Anomalien sind besonders bei den Manx-Katzen weit verbreitet. Rund 20 % von ihnen haben mindestens eine zusätzliche angeborene Anomalie, von denen etwa 90 % bei Katzen des „rumpy”-Phänotyps auftreten.
6. Symptomatik und Krankheitswert der oben genannten Defekte: Bedeutung/Auswirkungen des Defektes auf das physische/ psychische Wohlbefinden (Belastung) des Einzeltieres u. Einordnung in Belastungskategorie∗
∗Die einzelnen zuchtbedingten Defekte werden je nach Ausprägungsgrad unterschiedlichen Belastungskategorien (BK) zugeordnet. Die Gesamt-Belastungskategorie richtet sich dabei nach dem jeweils schwersten am Einzeltier festgestellten Defekt. Das BK-System als Weiterentwicklung nach dem Vorbild der Schweiz ist noch im Aufbau und dienen einer ersten Orientierung der Erheblichkeit zuchtbedingter Defekte. Daher sind die hier vorgenommenen BK-Werte als vorläufig anzusehen. Dies vor allen Dingen deshalb, weil sich im deutschen Tierschutzgesetz keine justiziable Grundlage zur Einteilung in Belastungskategorien findet. Im Gegensatz zur Schweiz, werden in den gesetzlichen Normen in Deutschland Schmerzen, Leiden oder Schäden nicht quantifiziert oder ihrer Qualität nach beurteilt, sondern diese berücksichtigt, wenn sie das Tier mehr als nur unwesentlich beeinträchtigen.
Die Belastungen, welche durch Defekt-Zuchtmerkmale entstehen können, werden in 4 Kategorien eingeteilt (Art. 3 TSchZV, Schweiz). Für die Zuordnung eines Tieres zu einer Belastungskategorie ist das am stärksten belastende Merkmal oder Symptom entscheidend (Art. 4 TSchZV, Schweiz).
Kategorie 0 (keine Belastung): Mit diesen Tieren darf gezüchtet werden.
Kategorie 1 (leichte Belastung): Eine leichte Belastung liegt vor, wenn eine belastende Ausprägung von Merkmalen und Symptomen bei Heim- und Nutztieren durch geeignete Pflege, Haltung oder Fütterung, ohne Eingriffe am Tier und ohne regelmäßige medizinische Pflegemaßnahmen kompensiert werden kann.
Kategorie 2 (mittlere Belastung): Mit diesen Tieren darf ggf. nur gezüchtet werden, wenn das Zuchtziel beinhaltet, dass die Belastung der Nachkommen unter der Belastung der Elterntiere liegt.
Kategorie 3 (starke Belastung): Mit diesen Tieren darf nicht gezüchtet werden.
Physisch:
Schwanzlose Katzen weisen neben den morphologischen Variationen der Schwanz- und Kreuzbeinwirbel auch weitere anatomische, physiologische und verhaltensbezogene Anomalien auf. Dies liegt an den genetischen Defekten, die der Schwanzlosigkeit zugrunde liegen und die Entwicklung des Neuralrohrs negativ beeinflussen.
Ein zugrunde liegender genetischer Faktor zeigt unterschiedliche Expressivität, die durch andere Gene, sogenannte Modifikator-Gene, beeinflusst werden. Dadurch können unterschiedliche Beeinträchtigungen anderer Körperteile auftreten, wie das Fehlen eines Lendenwirbels, Verkürzungen der Brust- und Lendenwirbel sowie gespaltene Wirbel.
Je kleiner die Anzahl an Lenden-, Kreuzbein- und Schwanzwirbel ist, desto ausgeprägter sind die damit verbundenen Missbildungen und desto höher ist die Mortalität bei Jungtieren. Die Mortalität unter Manx-Katzen ist hoch. Tritt die Schwanzlosigkeit bei Manx-Katzen homozygot auf, sterben die Tiere noch vor der Geburt.
In Studien an 259 und 495 Manx-Katzen wiesen 18 % respektive 21 % einen körperlichen Defekt abseits der Schwanzlosigkeit auf. Die Defekte variieren, beziehen sich jedoch fast alle auf die kaudale Region der Wirbelsäule und die damit verbundenen Organe. Dies deutet auf eine grundlegende regionale Störung des frühen embryonalen Wachstums hin. Die überwiegende Mehrheit der Anomalien tritt bei den „rumpy”-Phänotypen der Manx-Katzen auf. Schwere Anomalien reichen von der Agenesie (vollständiges Fehlen eines Körperteils von Geburt an) des Kreuzbeins bis zur Agenesie der Steißbeinwirbel und dem Fehlen der Cauda Equina.
Aufgrund des verkürzten Rückenmarks fehlen bestimmte Spinalnerven aus den sakralen Segmenten im Rückenmark. Die Nerven innervieren normalerweise den Dickdarm, die Harnblase, die Hinterbeine und die perineale Region [1]. Die fehlenden Nerven führen daher zu Problemen wie Spina bifida, Inkontinenz von Kot und Harn, Rektumprolaps, perinealem Sensibilitätsverlust und abnormaler Bewegungskoordination der Hinterbeine.
Spina bifida zeigt sich bei Manx-Katzen häufig ohne klinische Anzeichen (Spina bifida occulta), kann jedoch mit anderen dysraphischen (Gewebefehlbildungen während der embryonalen Entwicklung), vertebralen und urogenitalen Fehlbildungen verbunden sein. Spina bifida wurde in keiner anderen Katzenrasse außer der Manx-Katze beschrieben.
Die Inkontinenz von Harn ist bei 50 % der „rumpy”-Phänotypen bei Manx-Katzen zu beobachten. Eine Studie an einer Manx-Katze mit Inkontinenz zeigte, dass die Funktion der Harnblase und der Harnröhre gestört war. Die Katze zeigte eine Detrusor-Areflexie, eine autonome Druckreaktion auf die Blasenfüllung, eine dysfunktionale proximale Harnröhre, eine reduzierte Aktivität des Beckenbodens sowie einen vollständigen Mangel an adrenergen Fasern.
Manx-Katzen weisen einen hasenartigen oder hüpfenden Gang auf. Die Bewegungsstörung lässt sich auf Anomalien der Hinterbeine zurückführen, die auf genetische Defekte zurückgehen.
Laut Herrscher (1996) ist die Japanese Bobtail-Katze zwar deutlich von weniger Anomalien und Krankheitserscheinungen betroffen – ihre vorhandenen Schwanzwirbeldeformationen lösen bei Berührung der entsprechenden Regionen und je nach Ausprägung der Zuchtform jedoch starke Schmerzen bei den Tieren aus.
Der Schwanz spielt eine wichtige Rolle in der Fortbewegung. Während dem Laufen und Rennen, vor allem aber beim Springen und Klettern, balanciert sich die Katze damit aus und verhindert so, dass sie das Gleichgewicht verliert und womöglich stürzt und sich verletzt.
Der Schwanz ist wichtig für die Körperkontrolle bei Drehungen, beim Ausrichten in der Luft und bei unerwarteten Störungen. Durch die Anpassung des Schwanzes wird die Hüfte neu ausgerichtet. So kann das Gleichgewicht schnell verlagert werden. Ist kein oder nur ein kurzer Schwanz vorhanden, sind diese Funktionen stark beeinträchtigt.
Für alle schwanzlosen Katzen oder alle Hauskatzen mit stark verkürztem Schwanz besteht eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Bewegungsablaufes.
Psychisch:
Der Schwanz spielt eine wichtige Rolle in der innerartlichen Kommunikation domestizierter Katzen. Rangniedere Tiere heben den Schwanz, um dem Ranghöheren ihre freundlichen Absichten zu signalisieren, ihren sozialen Status anzuerkennen und die Aggressivität der anderen zu mindern. Kurzschwänzige und schwanzlose Katzen sind in ihrer Kommunikation stark eingeschränkt. Die missverständliche Kommunikation führt zu einer Verschlechterung des Sozialverhaltens.
Katzen besitzen an der oberen Seite der Schwanzwurzel Talgdrüsen, die Botenstoffe zur Reviermarkierung ausscheiden. Eine weitere Kommunikationsform, in der genetisch schwanzlose Katzen beschnitten sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten zu Leiden bei betroffenen Katzen führen.
Genetisch schwanzlose Katzen weisen verschiedene Schwanzwirbeldeformationen auf: eine zu geringe Anzahl sowie Halb- und Blockwirbel. Infolge dieser anatomischen Veränderungen leiden die Katzen an Schmerzen. Diese können durch klinische Zeichen wie Schonhaltung, Lahmheit und Belecken der schmerzhaften Gelenke erkannt werden.
Manx-Katzen leiden aufgrund ihrer Missbildungen an Schmerzen, Leiden und Schäden. Andere genetisch schwanzlose Katzen weisen weniger Missbildungen auf als Manx-Katzen, leiden dennoch an Schmerzen.
Die knöchernen Veränderungen schränken schwanzlose Katzen in ihrer Mobilität ein und führen zu Schmerzen im Beckenbereich. Die neurologischen Defekte stellen eine massive, dauerhafte Minderung der Lebensqualität dar.
Belastungskategorie: abhängig von der Länge des verbleibenden Schwanzes und/ oder zusätzlichen Defekten des Skelettsystems: 2-3
7. Vererbung, Genetik, ggf. bekannte Genteste
Die Schwanzlosigkeit bei Katzen wird durch mindestens drei verschiedene Genmutationen verursacht.
Manx
Der kurzschwänzige Phänotyp der Manx-Katzen wird durch mehrere mutierte T-Allele verursacht: drei 1-Basen-Paar-Deletionen und eine kleine Duplikation/Deletion. Jedes dieser Allele führt voraussichtlich zu einem Frameshift, was eine vorzeitige Verkürzung des Proteins Brachyury zur Folge hat. Die verkürzte Schwanzlänge wird durch Haploinsuffizienz verursacht. Das Allel wird autosomal-dominant vererbt. Die Schwanzlosigkeit bei Manx-Katzen ist die heterozygote Ausdrucksform dieses Allels, da homozygote Tiere vor der Geburt sterben.
American Bobtail
Es wurden Mutationen im T-Gen gefunden. Diese erklären aber nicht alle kurzschwänzigen Phänotypen dieser Rasse. Dies deutet darauf hin, dass es in Katzen weitere Gene gibt, die die Bildung von Schwanz und Wirbeln steuern. Dass sie dieselben Mutationen wie Manx-Katzen aufweisen liegt daran, dass es sich um eine neuere und weniger verbreitete Rasse mit unklaren Zuchtaufzeichnungen handelt.
Japanischer Bobtail
Eine dominant wirkende Veränderung im HES7-Gen stört die Entwicklung der Wirbelsäule. Das Lokus-Symbol ist BTADJ. Sie führt zum Fehlen eines thorakalen oder lumbalen Wirbels sowie zu Fehlplatzierung von Rippen. Homozygote Katzen, weisen keine zusätzlichen Abnormalitäten auf, nur eine ausgeprägtere Veränderung des Schwanzes. Diese Rasse weist keine Mutationen im T-Gen auf.
Kurilischer Bobtail
Es wurden keine Mutationen im T-Gen gefunden.
Pixie-Bob
Es wurden Mutationen im T-Gen gefunden. Diese erklären aber nicht alle kurzschwänzigen Phänotypen dieser Rasse. Dass sie dieselben Mutationen wie Manx-Katzen aufweisen liegt daran, dass es sich um eine neuere und weniger verbreitete Rasse mit unklaren Zuchtaufzeichnungen handelt.
8. Diagnose – weitergehende Untersuchungen
Die Schwanzphänotypen werden durch visuelle Inspektion und Palpation bestimmt. Des Weiteren können neurologische Untersuchungen durchgeführt werden.
Kongenitale Abnormalitäten der Wirbelsäule werden mittels röntgenologischer Untersuchungen und weiteren bildgebenden Verfahren ermittelt.
9. Aus tierschutzfachlicher Sicht notwendige oder mögliche Anordnungen
Entscheidungen über Zucht- oder Ausstellungsverbot können bereits im Zusammenhang mit der Belastungskategorie (BK) getroffen werden. Ausschlaggebend für ein Zuchtverbot kann je nach Ausprägung und Befund sowohl der schwerste, d.h. das Tier am meisten beeinträchtigende Befund, und dessen Einordnung in eine der Belastungskategorien (BK) sein, oder auch die Zusammenhangsbeurteilung, wenn viele einzelne zuchtbedingte Defekte vorliegen. Berücksichtigt werden sollte ggf. auch der individuelle Inzuchtkoeffizient eines Tieres.
a) notwendig erscheinende Anordnungen
– Zuchtverbot: (unmittelbar auf § 11b gestützte Anordnung nach § 16a Abs. 1 S. 1)
– Ausstellungsverbot: Bei dem Tier besteht aufgrund der sichtbaren Veränderung der begründete Verdacht einer Qualzucht gem. §11b TierSchG, deshalb wird die Vorstellung des Tieres zur Bewertung und Ausstellung untersagt (ggf. muss zusätzlich eine Mitverantwortung der Richter und/oder Ausstellungsveranstalter für ein rechtswidriges Verhalten = Zucht entgegen §11b TierSchG berücksichtigt werden).
b) mögliche Anordnungen
– Anforderung eines Genomprofils
– Dauerhafte Unfruchtbarmachung, ggf. Überweisung zu weiterer fachtierärztlicher klinischer Untersuchung.
Bitte beachten:
Maßnahmen der zuständigen Behörde müssen erkennbar geeignet sein, auch in die Zukunft wirkend Schaden von dem betroffenen Tier und/oder dessen Nachzucht abzuwenden. Es handelt sich im Hinblick auf Art und Bearbeitungstiefe von Anordnungen und Zuchtverboten immer um Einzelfallentscheidungen im Ermessen der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung der vor Ort vorgefundenen Umstände.
10. Allgemeine tierschutzrechtliche Bewertung
Aus tierärztlicher Sicht sind Katzen mit den oben beschriebenen Defekten/ Syndromen in Deutschland gemäß §11b TierSchG eindeutig als mit zuchtbedingten Defekten behaftet (Qualzuchten) einzuordnen.
Dabei ist zu beachten, dass das Zuchtverbot nicht nur dann greift, wenn mit Tieren gezüchtet wird, die selbst qualzuchtrelevante Merkmale aufweisen (Merkmalsträger), sondern auch dann, wenn bekannt ist oder bekannt sein muss, dass ein zur Zucht verwendetes Tier Merkmale vererben kann, die bei den Nachkommen zu einer der nachteiligen Veränderungen führen können (Anlageträger; insbesondere Tiere, die bereits geschädigte Nachkommen hervorgebracht haben; vgl. Binder § 5 ÖTSchG zu Z 1; Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz 4. Aufl. 2023, § 11b TierSchG Rn. 21d).
– Ein wichtiges Indiz für einen erblichen Defekt ist, dass eine Erkrankung oder Verhaltensabweichung bei verwandten Tieren häufiger auftritt als in der Gesamtpopulation. Gegen einen Schaden spricht nicht, dass sich die Rasse oder Population über längere Zeit als lebensfähig erwiesen hat (vgl. Lorz/Metzger § 11b Rn. 12).
– Das Verbot gilt unabhängig von der subjektiven Tatseite, also unabhängig davon, ob der Züchter selbst die Möglichkeit der schädigenden Folgen erkannt hat oder hätte erkennen müssen (Lorz/Metzger § 11b Rn. 4; Hirt/Maisack/Moritz/Felde a.a.O., § 11b TierSchG Rn. 6: Das Verbot gilt unabhängig von der subjektiven Tatseite). Wegen dieses objektiven Sorgfaltsmaßstabes kann er sich nicht auf fehlende subjektive Kenntnisse oder Erfahrungen berufen, wenn man die jeweiligen Kenntnisse und Erfahrungen von einem sorgfältigen Züchter der jeweiligen Tierart erwarten kann.
– Vorhersehbar sind erbbedingte Veränderungen bei den Nachkommen auch dann, wenn ungewiss ist, ob sie erst nach einem Generationensprung in späteren Generationen auftreten (vgl. Goetschel in Kluge § 11b Rn. 14).
Begründung:
Gem. §11b TierSchG ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten, soweit züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass als Folge der Zucht bei der Nachzucht oder den Nachkommen u.a.
- erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 1 TierSchG) oder
- mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 a) TierSchG) oder
- die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 c) TierSchG).
Das Züchten oder Vermehren von schwanzlosen und stummelschwänzigen Katzen erfüllt den Tatbestand der Qualzucht durch:
– das vollständige oder teilweise Fehlen von Organen
– die Funktionsbeeinträchtigung oder vollständige Funktionslosigkeit von Organen
– die mit Sicherheit zu erwartenden Schmerzen oder Leiden oder Schäden bei dem Tier selbst und bei den Nachkommen
Bei Manx- und Cymric-Katzen muss zusätzlich davon ausgegangen werden, dass sowohl homozygote als auch heterozygote Nachkommen mit Missbildungen behaftet sind. Diese mit Schmerzen, Leiden und Schäden assoziierten Defekte erfordern daher ein Zuchtverbot.
Ein Tier mit einer genetisch bedingten verkürzten, und funktionslosen oder gar völlig fehlender Rute, ist bereits gemäß dem sogen. Qualzuchtgutachten (1999) als Qualzucht zu klassifizieren (vgl. Hirt/Maisack/Moritz/Felde a.a.O., § 11b TierSchG Rn. 18). Das Gutachten bezog sich damals auf die Gesetzgebung vor der Einfügung des Artikels 20a in das Grundgesetz (Tierschutz als Staatsziel) und weiterer Änderungen des TierSchG und empfahl ein Zuchtverbot für Katzen mit fehlendem Schwanz. Unter Berücksichtigung der heutigen Rechtslage und Wandel der gesellschaftlichen Einstellung zum Tierschutz ist die vorsätzliche Einschränkung des Wohlergehens durch Zufügung zuchtbedingter Defekte (hier Fehlen eines wichtigen Körperteils) verboten.
Gem. §11b TierSchG (aktuelle Fassung) ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten […], soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse […] erwarten lassen, dass als Folge der Zucht […] bei der Nachzucht, den […] Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder […] bei den Nachkommen mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten […]
Beim Schwanz der Katze handelt es sich um ein Körperteil, das für das artgerechte Verhalten des Tieres von nicht unerheblicher Bedeutung ist und bestimmte Funktionen zu erfüllen hat. Die erhebliche Einschränkung des arteigenen Ausdrucks- und Kommunikationsverhaltens ist als Verhaltensstörung und Leiden zu werten.
Wichtig: Zusätzlich ist zu beachten, dass sich die Beschreibung und Beurteilung in diesem Merkblatt auf ein sichtbares Symptom einer Qualzucht bezieht. Bei einem großen Teil dieser Tiere sind zusätzliche sichtbare und/ oder verdeckte Defekte und Dispositionen vorhanden oder bekannt, die durch zusätzliche Untersuchungen und/oder Genteste detektiert werden können.
Fazit: Das Tier selbst ist als Defekt/Qualzucht zu klassifizieren. Züchterische Erkenntnisse lassen nicht nur erwarten, dass bei den Nachkommen mit Schmerzen, Leiden und Schäden verursachenden Einschränkungen gerechnet werden muss – es muss auch als erwiesen angesehen werden, dass ein großer Anteil der Nachkommen mit nicht unerheblichen Einschränkungen des Wohlbefindens leben wird müssen.
Ausführliche rechtliche Bewertungen und/oder Gutachten können, soweit schon vorhanden, auf Anfrage Veterinärämtern zum dienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt werden.
11. Relevante Rechtsprechung
1.Deutschland
(nicht zum fehlenden Schwanz, aber zu fehlenden Körperteilen)
VG Berlin, Urteil vom 23 September 2015-24K 202.14-, juris Rn.26
VG Hamburg, B. v. 4. 4. 2018, 11 E 1067/18, juris Rn. 47
VGH Kassel Beschl. v. 26.6.2003, 11 TG 1262/03, RdL 2003, 277, 27
2.Österreich: nicht bekannt.
3.Schweiz: nicht bekannt.
12. Anordnungsbeispiel vorhanden?
Nein.
Anordnungsbeispiele werden ausschließlich auf Anfrage Veterinärämtern zum dienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt.
13. Literaturverzeichnis/ Referenzen/ Links
An dieser Stelle wird nur eine Auswahl an Quellen zu den oben beschriebenen Defekten und ggf. allgemeine Literatur zu zuchtbedingten Defekten bei Katzen angegeben. Umfangreichere Literaturlisten zum wissenschaftlichen Hintergrund werden auf Anfrage von Veterinärämtern ausschließlich an diese versendet.
Hinweis: Die Beschreibung von mit dem Merkmal verbundenen Gesundheitsproblemen, für die bisher keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, erfolgen vor dem Hintergrund entsprechender Erfahrungen der Experten und Expertinnen aus der tierärztlichen Praxis, und/oder universitären Einrichtungen, sowie öffentlich frei einsehbaren Datenbanken oder Veröffentlichungen von Tier-Versicherungen und entstammen daher unterschiedlichen Evidenzklassen.
Da Zucht und Ausstellungswesen heutzutage international sind, beziehen sich die Angaben in der Regel nicht nur auf Prävalenzen von Defekten oder Merkmalen in einzelnen Verbänden, Vereinen oder Ländern.
Quellen:
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Fédération Internationale Féline (Fife). (2024). Kurilischer Bobtail Langhaar/Kurzhaar Rassestandard. Fédération Internationale Féline (Fife). https://fifeweb.org/app/uploads/2023/10/KBL-KBS.pdf
Fédération Internationale Féline (Fife). (2024). Japanischer Bobtail Langhaar/Kurzhaar Rassestandard. Fédération Internationale Féline (Fife). https://fifeweb.org/app/uploads/2023/10/JBS.pdf
Gough, A., Thomas, A., & O’Neill, D. (2018). Breed predispositions to disease in dogs and cats (Third edition). Wiley.
Herrscher, R. (1996). Behinderung als Rassemerkmal. Schweizer Tierschutz: Du und die Natur, 28–31.
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Kluge, H.-G. (Hrsg.). (2002). Tierschutzgesetz: Kommentar (1. Aufl). Kohlhammer.
Lorz, A., & Metzger, E. (2019). Tierschutzgesetz: Mit Allgemeiner Verwaltungsvorschrift, Art. 20a GG sowie zugehörigen Gesetzen, Rechtsverordnungen und Rechtsakten der Europäischen Union: Kommentar (7., neubearbeitete Auflage). C.H. Beck.
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Sachverständigengruppe Tierschutz und Heimtierzucht (1999): Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen).
https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/gutachten-paragraf11b.html
Schöll, K. (2021). Qualzuchtmerkmale bei der Katze und deren Bewertung unter tierschutzrechtlichen Aspekten (1. Auflage). VVB Laufersweiler Verlag.
Walker, C., Vierck, C. J., & Ritz, L. A. (1998). Balance in the cat: Role of the tail and effects of sacrocaudal transection. Behavioural Brain Research, 91(1–2), 41–47. https://doi.org/10.1016/s0166-4328(97)00101-0
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