Merkblatt Hund Merle-Syndrom

Tierart: Hund
Defekt an Körperteil: Merle-Syndrom
QUEN-Merkblatt Nr. 6
Bearbeitungsstand: 24.04.2024
Tierart: Hund
Defekt an Körperteil: Merle-Syndrom
QUEN-Merkblatt Nr. 6
Bearbeitungsstand vom 24.04.2024

1. Beschreibung des  Merkmals

Mikrophtalmus; Taubheit; unterschiedlich stark ausgeprägte Depigmentierung des Fells, der Haut und Schleimhaut sowie der Iris, ausgelöst durch bestimmte Genotypen am Merle-Lokus.

Die Kombination von Merle-Allelen mit Nicht-Merle führt – je nach beteiligtem Allel – von gar keiner Auswirkung (Mc/m und Mc+/m) über gleichmäßige  Pigmentaufhellungen (Ma/m und Ma+/m) bis hin zur „klassischen“ Merle-Zeichnung mit zerrissenen, unregelmäßig über den Körper verteilten unverdünnten Farbflecken auf farbverdünntem Grund (M/m, Mh/m) und abweichenden Merle-Zeichnungen („Minimal Merle“, „Tweed“, „Patchwork“) (Mh/m).
Für diese Genotypen sind (bis auf Mh/m) bislang keine Schadwirkungen der Sinnesorgane dokumentiert. Schadwirkungen sind möglich, sobald Pigment zu Weiß aufgehellt werden kann.

Hochrisiko-Genotypen für Schadwirkungen auf die Sinnesorgane sind: Mh/Mh, M/M, Mh/Ma+, Mh/Ma, M/M, M/Ma+. Die Genotypen Ma+/Ma+ und Mh/Mc+ stellen ein mittleres Risiko dar. Mit geringerem Risiko sind die Genotypen Mh/m, Mh/Mc, M/Mc+, M/Ma, Ma+/Ma und Ma+/Mc+ behaftet (wobei die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Risikogruppen nicht scharf abgegrenzt sind, sondern ein Kontinuum darstellen).

Der Merle-Faktor wirkt sich – zumindest, solange er nicht zu Weiß aufhellt – nur auf die Pigmentart Eumelanin (schwarz, blaugrau, braun oder lilac) aus, nicht auf Phäomelanin (rötlich, gelb oder cremefarben). Dies ermöglicht eine phänotypische Identifizierung von Merle nur bei Hunden mit Grundfarben, die einen größeren Anteil an Eumelanin enthalten. Hellere Fellfarben (z.B. gelb, cremefarben, sable, fawn) oder eine großflächige Weißscheckung durch Scheckungsgene können eine Merle-Zeichnung maskieren („Masked Merle“ oder „Hidden Merle“). Das Allel Mh sowie bestimmte Kombinationen von Merle-Allelen (siehe Punkt 7) können beide Pigmentarten zu Weiß aufhellen. Bestimmte Merle-Genotypen können blaue und/oder heterochrome Iriden verursachen.

Weitere Bezeichnungen: „Weißtiger“, „Double Merle“

2.1 Bild 1

Foto: Australian Shepherd Mix
mit frdl. Genehmigung von Dr. Anna Laukner

2.1 Bild 2

Foto: Deutsche Dogge
Eimann, CC BY-SA 2.0 de

3. Betroffene Hunderassen

Standardgerechte Fellfarbe durch den „klassischen“ Genotyp M/m in vielen Rassen: Collie, Shetland Sheepdog, Welsh Corgi Cardigan, Border Collie, Australian Shepherd, Teckel, Dunkerhund, Bergamasker, Pyrenäenschäferhund, Berger de Beauce, Mudi, Altdeutschem Hütehund („Tiger“), Catahoula Leopard Dog, bodenständige lokale Hütehundeschläge aus Frankreich und Italien. Tritt durch Einkreuzung mittlerweile auch in vielen anderen Rassen und „Designer Dogs“ auf: Pomeranian, Chihuahua, Französische Bulldogge („Farbbully“), Mops („Farbmops“), „Aussiedoodle“, „Aussiedor“ und viele weitere. Bei der Deutschen Dogge wird das „klassische“ Merle durch ein Genotyp H/h am H-Lokus zu „Harlekin“ (schwarze zerrissene Flecken auf weißem Grund) modifiziert.

4. Vorkommen bei anderen Tierarten

„Silver“ beim Pferd (Mutation im selben Gen, aber andere genetische Ursache)

https://omia.org/OMIA001438/9796/

5. Mit dem Merkmal möglicherweise verbundene Probleme/Syndrome

Je nach Basenpaarlängen der Insertionen kann es zu mehr oder weniger stark ausgeprägten Depigmentierungen von Haaren, Haut/Schleimhaut und/oder Iris und Deformationen der Augen (Kolobome, Mikrophtalmie) und/oder des Innenohres kommen. Daraus können Funktionseinschränkungen bis hin zum Funktionsverlust des Visus und Hörsinnes resultieren.

6. Symptomatik und Krankheitswert der oben genannten Defekte: Bedeutung/Auswirkungen des Defektes auf das physische/ psychische Wohlbefinden (Belastung) des Einzeltieres u. Einordnung in Belastungskategorie

*Die einzelnen zuchtbedingten Defekte werden je nach Ausprägungsgrad unterschiedlichen Belastungskategorien (BK) zugeordnet. Die Gesamt-Belastungskategorie richtet sich dabei nach dem jeweils schwersten am Einzeltier festgestellten Defekt. Das BK-System als Weiterentwicklung nach dem Vorbild der Schweiz ist noch im Aufbau, daher sind die hier vorgenommenen BK-Werte als vorläufig anzusehen.

Die Belastungen, welche durch Zuchtmerkmale entstehen können, werden in 4 Kategorien eingeteilt (Art. 3 TSchZV, Schweiz). Für die Zuordnung eines Tieres zu einer Belastungskategorie ist das am stärksten belastende Merkmal oder Symptom entscheidend (Art. 4 TSchZV, Schweiz).

Kategorie 0 (keine Belastung): mit diesen Tieren darf gezüchtet werden.

Kategorie 1 (leichte Belastung): eine leichte Belastung liegt vor, wenn eine belastende Ausprägung von Merkmalen und Symptomen bei Heim- und Nutztieren durch geeignete Pflege, Haltung oder Fütterung, ohne Eingriffe am Tier und ohne regelmäßige medizinische Pflegemaßnahmen kompensiert werden kann.

Kategorie 2 (mittlere Belastung): mit diesen Tieren darf nur gezüchtet werden, wenn das Zuchtziel beinhaltet, dass die Belastung der Nachkommen unter der Belastung der Elterntiere liegt.

Kategorie 3 (starke Belastung): mit diesen Tieren darf nicht gezüchtet werden.

Physisch:  eingeschränkter Visus (bis hin zu Blindheit), eingeschränkter Hörsinn (bis hin zu Taubheit), Depigmentierung der Haut (kann in dünn behaarten oder unbehaarten Arealen (Nasenspiegel, Nasenrücken, Augenlider) zu erhöhter UV-Empfindlichkeit und bei anhaltender UV-Exposition zu aktinischer Keratose führen.

Psychisch: Taube und/oder blinde Hunde sind in ihrem Sozialverhalten eingeschränkt, da sie visuelle und akustische Signale ihrer Artgenossen (und auch von Menschen) nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen und beispielsweise nicht entsprechend auf Warnsignale reagieren können. Ein Beispiel ist die Erlernung der Beißhemmung. Auch Freilauf ist bei blinden und/oder tauben Hunden nur eingeschränkt möglich.

Belastungskategorie: 2-3

7. Vererbung, Genetik, ggf. bekannte Genteste, ggf. Generic Illness Severity Index

Genetik:

Insertion mit Poly-A-tail im Gen PMEL 17 auf dem Chromosom 10

Gentest: M-Lokus

Das Kontinuum der unterschiedlichen Basenpaarlängen wird derzeit in sechs verschiedene Allele unterteilt:

Mc und Mc+: Kryptisches Merle, im heterozygoten Genotyp (Mc/m und Mc+/m) keine Auswirkung auf die Pigmentierung und die Sinnesorgane. Im homozygoten Genotyp keine Auswirkung auf den Phänotyp (Mc/Mc) oder eine leichte Aufhellung möglich (Mc+/Mc+).

Ma und Ma+: Atypisches Merle, führt im heterozygoten Genotyp zu einer gleichmäßigen Farbverdünnung (Ma/m) oder zu einer abgeschwächten Merle-Zeichnung Ma+/m). Im homozygoten Genotyp ist eine mehr oder weniger deutlich ausgeprägte Merle-Zeichnung möglich (Ma/Ma), bei Ma+/Ma+ können Fellbereiche zu Weiß aufgehellt sein.

M: Klassisches Merle, führt im heterozygoten Genotyp zur „klassischen“ Merle-Zeichnung in mit Eumelanin pigmentierten Fellbereichen. Im homozygoten Genotyp sind Aufhellung des Fells zu Weiß und  Sinnesmissbildungen des Visus und/oder des Innenohres möglich.

Mh: Harlekin-Merle, kann bereits im heterozygoten Genotyp (Mh/m) Pigment zu Weiß aufhellen und zu Beeinträchtigungen des Hörvermögens führen. Kann im homozygoten Genotyp (Mh/Mh) zu schweren Missbildungen der Sinnesorgane führen.

Je nach Basenlänge kann es in bestimmten homozygoten Genotypen sowie im heterozygoten Genotyp Mh/m zu den unter 6. beschriebenen Symptomen kommen.

Je nach Kombination der verschiedenen Allele untereinander besteht kein, ein niedriges , mittleres oder hohes Risiko für Missbildungen von Visus und/oder Hörsinn mit den damit einhergehenden Beeinträchtigungen (siehe Punkt 1 und diese Tabelle).

Der Poly-A-tail der Merle-Insertion ist instabil, was in Verkürzungen während der embryonalen Mitosen resultieren kann. So sind auch so genannte Merle-Mosaike möglich, die mehr als zwei Allele aufweisen und unter Umständen auch andere Merle-Allele in ihren Keimzellen tragen als in ihren somatischen Zellen. Auch eine Verlängerung des Poly-A-tails im Rahmen der Zellteilung kann zum derzeitigen Stand der Forschung noch nicht ausgeschlossen werden.

Genteste:

Kommerzielle Genteste stehen zur Verfügung.

8. Diagnose – weitergehende Untersuchungen

Gentest auf den M-Lokus

9. Aus tierschutzfachlicher Sicht notwendige oder mögliche Anordnungen

Entscheidungen über Zucht- oder Ausstellungsverbot sollten im Zusammenhang  mit der Belastungskategorie (BK) getroffen werden. Ausschlaggebend für ein Zuchtverbot kann je nach Ausprägung und Befund sowohl der schwerste, d.h. das Tier am meisten beeinträchtigende Befund, und dessen Einordnung in eine der Belastungskategorien (BK) sein, oder auch die Zusammenhangsbeurteilung, wenn viele einzelne zuchtbedingte Defekte vorliegen. Berücksichtigt werden sollte ggf. auch der  individuelle Inzuchtkoeffizient eines Tieres. 

a) notwendig erscheinende Anordnungen

  • In allen Rassen und Kreuzungszuchten, in denen Merle vorkommt, müssen alle Zuchttiere vor der Verpaarung auf den M-Lokus getestet werden.
  • Merle Hunde dürfen nicht mit einem Zuchtpartner verpaart werden, wenn die zu erwartenden Merle-Allel-Kombinationen der Nachkommen mit dem Risiko von Sinnesmissbildungen behaftet sind (für m/m getestete Hunde gibt es keine Einschränkungen im Merle-Genotyp des Zuchtpartners, daher können sie auch mit nicht auf Merle getesteten Hunden verpaart werden).
  • Nicht getestete Hunde mit Merle-Elternteil oder Geschwistern müssen – unabhängig ihrer Rasse – vor einer Verpaarung auf Merle getestet werden.
  • Züchtern ist aufzugeben, zukünftig nur noch Tiere ohne Merle Allele zu verpaaren.
  • Ausstellungen und Teilnahme an sportlichen Veranstaltungen nur unter Vorlage eines Gen-Tests.

b) mögliche Anordnungen

  • Welpen mit einem Merle-Elternteil sollten vor der Abgabe auf den M-Lokus getestet werden.
  • Alle zukünftigen Besitzer von unkastrierten Merle-Hunden sollten vom Züchter/Verkäufer mündlich und schriftlich über das Risiko der Merle-Zucht aufgeklärt werden.

Bitte beachten:

Maßnahmen der zuständigen Behörde müssen erkennbar geeignet sein, auch in die Zukunft wirkend Schaden von dem betroffenen Tier und/oder  dessen Nachzucht abzuwenden. Es handelt sich im Hinblick auf Art und Bearbeitungstiefe von Anordnungen und Zuchtverboten immer um Einzelfallentscheidungen im Ermessen der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung der vor Ort vorgefundenen Umstände.

10. Allgemeine tierschutzrechtliche Bewertung

Aus tierärztlicher Sicht sind Hunde mit den oben beschriebenen Defekten/ Syndromen in Deutschland gemäß §11b TierSchG als Qualzucht einzuordnen.

Dabei ist zu beachten, dass das Zuchtverbot nicht nur dann greift, wenn mit Tieren gezüchtet wird, die selbst qualzuchtrelevante Merkmale aufweisen (Merkmalsträger), sondern auch dann, wenn bekannt ist oder bekannt sein muss, dass ein zur Zucht verwendetes Tier Merkmale vererben kann, die bei den Nachkommen zu einer der nachteiligen Veränderungen führen können (Anlageträger; insbesondere Tiere, die bereits geschädigte Nachkommen hervorgebracht haben; vgl. Binder § 5 ÖTSchG zu Z 1).

 – Ein wichtiges Indiz für einen erblichen Defekt ist, dass eine Erkrankung oder Verhaltensabweichung bei verwandten Tieren häufiger auftritt als in der Gesamtpopulation. Gegen einen Schaden spricht nicht, dass sich die Rasse oder Population über längere Zeit als lebensfähig erwiesen hat (vgl. Lorz/Metzger § 11b Rn. 12).

 – Das Verbot gilt unabhängig von der subjektiven Tatseite, also unabhängig davon, ob der Züchter selbst die Möglichkeit der schädigenden Folgen erkannt hat oder hätte erkennen müssen (Lorz/Metzger § 11b Rn. 4). Wegen dieses objektiven Sorgfaltsmaßstabes kann er sich nicht auf fehlende subjektive Kenntnisse oder Erfahrungen berufen, wenn man die jeweiligen Kenntnisse und Erfahrungen von einem sorgfältigen Züchter der jeweiligen Tierart erwarten kann. 

– Vorhersehbar sind erbbedingte Veränderungen bei den Nachkommen auch dann, wenn ungewiss ist, ob sie erst nach einem Generationensprung in späteren Generationen auftreten (vgl. Goetschel in Kluge § 11b Rn. 14)

Begründung:

Gem. §11b TierSchG ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten, soweit züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass als Folge der Zucht bei der Nachzucht oder den Nachkommen u.a.

  • erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 1 TierSchG) oder
  • mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 a) TierSchG) oder
  •  die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 c) TierSchG).

Die Zucht von Tieren mit einem oder mehreren der oben beschriebenen Defekte erfüllt den Tatbestand der Qualzucht durch:

Die Kombination bestimmter Merle-Allele kann zur Missbildung von Sinnesorganen führen, die eine artgemäße Kommunikation und Orientierung erschweren bis unmöglich machen.

Ausführliche rechtliche Bewertungen und/oder Gutachten können, soweit schon vorhanden, auf Anfrage Veterinärämtern zum dienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt werden.

11. Relevante Rechtsprechung

Deutschland: noch nicht vorhanden.

Österreich:  Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, Beschluss vom 31. Mai 2022, LVwG-S-505/001-2022
Beschluss-Merle_Oesterreich-LVWGT_NI_20220531_LVwG_S_505_001_2022_00.

12. Anordnungsbeispiel vorhanden?

Ja:  Bundesland Hessen, 2015.

Anordnungsbeispiele werden ausschließlich auf Anfrage Veterinärämtern zum dienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt.

13. Literaturverzeichnis/ Referenzen/ Links

An dieser Stelle wird nur eine Auswahl an Quellen zu den oben beschriebenen Defekten  und ggf. allgemeine Literatur zu zuchtbedingten Defekten bei Hunden angegeben. Umfangreichere Literaturlisten zum wissenschaftlichen Hintergrund werden auf Anfrage von Veterinärämtern ausschließlich an diese versendet.

Hinweis: Die Beschreibung von mit dem Merkmal verbundenen Gesundheitsproblemen, für die bisher  keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, erfolgen vor dem Hintergrund entsprechender Erfahrungen der Experten und Expertinnen aus der tierärztlichen Praxis, und /oder universitären Einrichtungen, sowie öffentlich frei einsehbaren Datenbanken oder Veröffentlichungen von Tier-Versicherungen und entstammen daher unterschiedlichen Evidenzklassen.

Da Zucht und Ausstellungswesen heutzutage international sind , beziehen sich die Angaben in der Regel nicht nur auf Prävalenzen von Defekten oder Merkmalen in einzelnen Verbänden, Vereinen oder Ländern.

Quellen:

Gough et al. (2018): Breed Predispositions to Disease in Dogs and Cats.

Breed Predispositions to Disease in Dogs and Cats, 3rd Edition | Wiley

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