Qualzuchten bei Fischen
Einführung
Die Haltung von Fischen zur Freude des Menschen („Zierfische“) hat eine lange Tradition. Goldfische – die ersten Fische, die züchterisch vom Menschen „gestaltet“ wurden – traten als erste Zierfische in China um das Jahr 960 nach Christus erstmals als Mutationen der Goldkarausche, Carassius auratus, auf (Balon 1995). Schon zwischen 1300 und 1500 wurden Goldfischzuchtformen gezielt gezüchtet, die bereits Grundzüge heutiger extremer Zuchtformen, wie stark veränderte Körperformen und das Fehlen von Flossen als gezielte Effekte der Zuchtauslese zeigten. Für eine solche Zuchtauslese müssen die Fische, wie auch andere Haus-, Heim- und Nutztiere über mehrere Generation in menschlicher Obhut gezüchtet werden, so dass sich zufällige Mutationen im Bereich Form, Farbe und Flossen durch mehrfache Zuchtauslese manifestieren können. Die wenigen Übersichtsarbeiten (Herre und Röhrs 2013; Teletchea 2016a) zeigen, dass bisher nur sehr wenige Zierfischarten diese Kriterien einer dauerhaften Nachzucht in menschlicher Obhut aufweisen. Neuere wiss. Daten lassen jedoch vermuten, dass der Domestikationsprozess von Fischen (Teletchea 2016b) und marinen Aquakulturarten (Duarte et al. 2007) in Zukunft ggf. rascher als bisher erfolgen kann.
Obwohl extreme Zuchtformen von Goldfischen schon vor mehr als 100 Jahren in der zeitgenössischen Literatur erwähnt wurden, sind Extremzuchten bis heute in Zentraleuropa auf einen relativ kleinen Liebhaberkreis beschränkt. Schon im Buch des Amerikaners Innes (1917) werden in wenigen Fotografien und umfangreichen Zeichnungen Goldfischvarietäten wie „Teleskopfische“, „Löwenkopf“ oder „Eierfische“ abgebildet und eine Leitlinie zur Beurteilung der Zuchtformen auf Ausstellungen aufgestellt. Im 1936 erschienen Buch des gleichen Autors zeigen Fotografien, dass diese bisher in Zeichnungen dargestellten Zuchtformen wirklich existierten. Mit Beginn der Haltung tropischer und subtropischer Fische ab ca. 1950 bis 1960 trat die Haltung von Goldfischen und deren Zuchtformen mehr und mehr zurück, was auch in der aquaristischen Literatur thematisiert wurde (Herrmann 1969). Dennoch gibt es ab und zu, zum Teil aufgrund neuer aquaristischer Trends, erhöhtes Interesse an Goldfischzuchtformen (Herrmann 2004). Gelegentlich wird auch an das Wissen um die Anfänge der Goldfischzucht (Thiele 2021a) oder die Zuchtformen, ob nun „extrem“ oder nicht, erinnert (Pederzani 2004; Thiele 2021b).
Eine vollständig kontrollierbare Zucht in menschlicher Obhut, also ein fortgeschrittener Domestikationsprozess ist die Voraussetzung für gezielte züchterische Gestaltung (Herre und Röhrs 2013; Zeder 2012). Dabei ist eine exakte Definition des Begriffs/Status „domestiziert“ schwierig (Zeder 2015). Der Domestikationsprozess wird hier als ein dynamischer, teilweise in Schritte unterteilter Vorgang verstanden (Teletchea und Fontaine 2014), der schon mit der Selektion von Zuchttieren beginnt und bei unterschiedlichen Fischarten unterschiedlich weit fortgeschritten ist.
Das Thema Qualzuchten wird bereits seit längerem im tierführenden Fachhandel diskutiert. Im deutschen tierführenden Zoofachhandel spielen allerdings züchterisch extrem veränderte Fische („Qualzuchten“) bisher keine Rolle. In Deutschland nimmt der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) zu diesem Thema Stellung:
(https://www.zzf.de/themen/tier-und-artenschutz/tier-und-artenschutz/article/qualzucht-tierschutzgesetz-nicht-ausreichend.html). Fischformen mit „verdächtigen“ Merkmalen werden in einer Negativliste geführt. Tierführende Fachhandelsketten weisen Importeure und Züchter (zum Teil mit konkreten Hinweisen und umfangreichen Listen) darauf hin, diese Tiere nicht in ihrem Sortiment zu führen.
Die in Verbänden und Vereine organisierte Aquaristik bezieht eindeutig Position gegen Qualzuchten (Wilkerling und Reichert 2006). Die im Verband Deutscher Verein für Aquarien- und Terrarienkunde e.V. (VDA) organisierten Vereine folgen der Position des Verbandes. Der Bundesverband für fachgerechten Natur-, Tier- und Artenschutz e.V. (BNA) fordert ebenfalls, dass ästhetische Bewertungen von Zuchtzielen bei den Tieren nicht zu Schmerzen, Leiden oder Schäden führen dürfen: https://www.bna-ev.de/downloads/sonstiges/BNA_Forderungen_Tier-und_Artenschutz_im_Heimtierbereich_verbessern.pdf
Aus Sicht der Halterverbände bestehe dringender Handlungsbedarf nach einer nach wissenschaftliche Kriterien erarbeiteten Qualzuchtdefinition.
Davon abweichende Verhältnisse herrschen zum Teil in anderen Ländern, wie der Autor zum Teil auch persönlich feststellen konnte. So sind Extremzuchten weiterer Fischarten vor allem im asiatischen Raum weiter verbreitet. Aber auch in Südamerika finden sich züchterisch zu extremen Formen umgestaltete Fische nativer Arten neben Biotopaquarien und neueren Trends wie „Aquascaping“.
Bedeutung von Extremzuchtmerkmalen
Wie für andere Tiergruppen auch, sind bei Fischen die Organe für vegetative und motorische Körperfunktionen (z.B. Atmung, Nahrungsaufnahme, Fortbewegung) für die jeweilige Fischart sehr wichtig. Ebenso sind die sensorischen Körperfunktionen wie Sehen, Hören (falls morphologisch möglich) Riechen bzw. Schmecken für das Individuum von großer Bedeutung. Innerartliche Kommunikation findet bei Fischen über die schnell veränderbare Körperfärbung, Signale mit den Flossen und die Position des Körpers im Wasser statt.
Letzteres Beispiel zeigt, dass der Zuchtauslese bei Form, Flossen, Farbe eine gewisse Beachtung geschenkt werden muss, damit auch mit durch die Zucht veränderten Merkmalen eine artgemäßes Verhalten und eine innerartliche Kommunikation stattfinden kann. Aber auch andere Veränderungen in Körperform und Beflossung können dazu führen, dass vegetative Funktion wie die Atmung und das Schwimmverhalten und damit die Nahrungsaufnahme beeinträchtigt sein können. Wie bei anderen Tiergruppen gibt es fließende Übergänge, die es erschweren, natürliche Abweichungen von der normalen Merkmalsausbildung der Art zu bewerten.
Die folgenden Beispiele sind bisher nach Wissen des Autors nicht als Qualzuchten eingeordnet worden. Trotzdem sollen einige Aspekte der Zuchtziele, die in ihrer Ausprägung durchaus abgestuft sein können, erwähnt werden. Die Aufzählung erhebt dabei nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Viele der genannten Beispiele finden sich auch schon in der älteren veterinärmedizinischen Literatur (Not et al. 2008).
Beispiele
Morphologische Veränderungen sind bei Fischen nicht außergewöhnlich. Möglicherweise aufgrund von Einwirkungen durch Haltungsparameter lassen sich Tendenzen zur Verkürzung des Fischkörpers erkennen (Herre und Röhrs 2013).
Durch Zuchtauslese werden die Körper einiger Arten von eher gestreckten Formen hin zu stark gedrungenen bis zu extrem gestauchten Körperformen verändert.
Veränderungen im Bereich des Kopfskeletts führen dazu, dass eine Funktion der für die Atmung bei Fischen nötigen Saug-Druckpumpe (Eckert et al. 2002), bei der das Atemwasser durch den Mund angesaugt und durch die Kiemen wieder ausgepresst wird, nicht mehr gewährleisten kann.
Starkes Gewebewachstum im Bereich des Kopfes („Löwenköpfe“) kann zu einer teilweisen oder vollständigen Überwucherung der Augen führen, die in Extremfällen vom Tierarzt entfernt werden muss.
Im Bereich der Beflossung treten Veränderungen auf, die zu einer Verlängerung oder Umbildung des Flossenbehanges führen. Nicht alle diese Veränderungen führen zu Veränderungen im natürlichen Verhalten und nicht jede Abweichung von der Norm ist eine Qualzucht, jedoch gibt es Formen, in denen die Beflossung so ausgebildet ist, dass natürliche Verhaltens- oder Fortbewegungsweisen nicht mehr gegeben sind.
Das zuchtbedingte Fehlen von Flossen, tritt bei wenigen Fischformen auf. Betroffen sind Rückenflosse (Dorsale) und die Schwanzflosse (Caudale). Teilweise treten diese Merkmale zusammen mit den vorher genannte Merkmalen auf.
Eine Veränderung der Augen in deren Ausbildung und Lage führt zu einer Veränderung des Gesichtsfelds, welches in natürlichen Phänotyp durch die normalerweise seitlich am Kopf angebrachten Augen ein gut ausgeprägtes Rundum- Sehen mit einer Überschneidung des Gesichtsfeldes kurz vor dem Maul bedingt. Durch starkes Hervortreten der Augen kann der Blick nach oben gerichtet sein, der Sehwinkel wird dadurch eingeschränkt. Bei den oben genannten „Löwenköpfen“ können die Gewebewucherungen ebenfalls zur Beeinträchtigung des Sehens führen.
Die Färbung von Fischen ist ein wichtiger Aspekt der Kommunikation in einigen Fischgruppen (Price et al. 2008). Fische einiger Gruppen/Arten kommunizieren über Signale, die durch Farben oder besonders kontrastreiche Färbungsmerkmale erzeugt werden. Diese sind zum Teil auch nötig, um im Wasser über größere Entfernungen zu kommunizieren. Augenfleckbuntbarsche (Astronotus ocellatus) aus der Familie der Buntbarsche nutzen Augenflecken und breite dunkle vertikale Streifen zur Kommunikation dominanter und unterlegener Tiere (Beeching 1993, 1995). Diese „Unterlegenheitsfärbung“ ist auch ein Signal weiter Aquarienfischarten, vor allem aus der Gruppe der Buntbarsche. Einigen Zuchtformen dieser Fischgruppe ist durch eine Selektion auf flächige Farben diese Kommunikationsmöglichkeit genommen worden.
Aggressive Fische zeigen ein verändertes Verhalten, welches bei einer zuchtbedingten Übertypisierung zu häufigerem Zeigen und Imponieren auch gegenüber dem Halter führen kann. Fische, welche ein gesteigertes Aggressionsverhalten zeigen, halten sich häufiger an der Aquarienscheibe auf und zeigen sich dort mit Dominanzmerkmalen, wie aufgestellten Flossen, stark hervortretenden Farben und auffälligen Verhalten. Gegenüber Mitbewohnern im Aquarium verhalten sich die Tiere extrem aggressiv.
Fazit
Einige Beispiele der durch Extremzuchten veränderbaren oder bereits veränderten Körperfunktionen oder – Formen wurden kurz aufgezeigt. Detailliertere Darstellungen werden bei den jeweiligen Beispielen der Arten bzw. Zuchtformen aufgeführt. Die Diagnose ob und in welchem Maße (nicht jede verlängerte Flosse oder zusätzlicher Farbfleck weist auf ein Qualzuchtmerkmal hin) durch Zuchtmerkmale bei den betroffenen Fischarten relevante Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten, ist nicht immer leicht zu stellen.
Es steht jedoch inzwischen fest, dass Fische leiden und Schmerzen empfinden können. Für Zweifelsfälle empfiehlt die EFSA solange bis das Gegenteil bewiesen ist, davon auszugehen, dass eine Leidensfähigkeit vorhanden ist. Auf den Fall der zuchtbedingten Veränderungen an Körperformen oder -Funktionen oder- Färbungen bei Fischen übertragen, sollten Veränderungen an Tieren nur vorgenommen werden, wenn sicher ausgeschlossen ist, dass dem einzelnen Tier keine Leiden, Schmerzen oder Schäden zugefügt werden.
Die zugehörige Literatur finden Sie hier.