Die Milchkuh: Leistung und Krankheitsrisiken
Holger Martens
Die Zunahme der Milchleistung in Deutschland hat in den vergangenen 100 Jahren zu einer erheblichen Steigerung der Laktationsleistung auf über 8000 kg pro Kuh im Mittel aller Rassen geführt. Erheblich höhere Leistungen sind nicht ungewöhnlich. Diese Steigerung ist das Ergebnis der primären Selektion auf Milchleistung durch die Tierzucht, angepasste Fütterung, umsichtiges Management und tierärztlicher Betreuung. Bis zur Einführung der genomisch gestützten Selektion im Jahre 2010/2011 erfolgte als primäres Zuchtziel die Berücksichtigung der Milchleistung ohne ausreichende Prüfung anderer Kriterien wie die gesundheitliche Robustheit: Phänotypische Tierzucht ohne Kenntnisse der dem Selektionsziel zugrundeliegenden physiologischen und biochemischen Mechanismen verbunden mit möglichen genetischen Gesundheitsrisiken. Die negativen Nebeneffekte dieses Vorgehens sind allgemein bekannt: Hohe Inzidenzraten von Erkrankungen, vorzeitiges Ausscheiden aufgrund von Erkrankungen und damit eine ökonomisch zu kurze Nutzungsdauer von < 3 Laktationen.
Die hohen Erkrankungsraten im Verlauf einer Laktation (≥ 50 Prozent aller Kühe) sind ohne Zweifel als Tierschutzproblem anzusehen. Das Tierschutzgesetz (TierSchG) sieht mögliche Restriktionen in den Paragrafen 3 und 11b vor. So ist es nach § 3 Nr. 1 TierSchG verboten, einem Tier, außer in Notfällen, Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustands offensichtlich nicht gewachsen ist oder die seine Kräfte übersteigen. § 11b TierSchG verbietet mit Abs. 1 Nr. 2c Wirbeltiere zu züchten, wenn bei den Nachkommen die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt. Beide Paragrafen treffen für die Zucht der Hochleistungskühe in der Regel zu. Die Aufnahme von Gesundheitsfaktoren (18 %) im neuen Relativzuchtwert für Holstein Friesian Kühe im Jahr 2021 aufgrund genomweiter Analysen ist als Bestätigung von genetischen Gesundheitsrisiken anzusehen. Genetische Gesundheitsrisiken können nur eliminiert werden, wenn sie sich im Genom infolge der phänotypischen Selektion ungewollt angereichert haben.
Hohe Leistung und gute Gesundheit sind ohne ein ausgezeichnetes Management nicht möglich. Die gute Qualität der Managements ist deswegen so wichtig, weil die heutigen Kühe im hohen Maße anspruchsvoll sind und keine (Management)Fehler verzeihen. Die Kühe sind genetisch bedingt „fehlerempfindlich“. Es ist aber nicht die Aufgabe des Managements, diese genetischen Krankheitsrisiken zu kompensieren. Es ist also notwendig, zwischen Ursache (Genetik) und Wirkung (gutes oder schlechtes Management) zu unterscheiden. Die Verantwortung ist also primär bei den Zuchtverbänden bzw. der Tierzucht zu suchen.
Wer aber an dem Argument Management festhalten will und die genetischen Krankheitsrisiken bestreitet oder leugnet, der muss auf den Paragrafen 2 des TierSchG hingewiesen werden, der entsprechende Kenntnisse der Tierhaltung fordert. Bei dem augenblicklichen Stand der Kuhgesundheit und der Leugnung der genetischen Zusammenhänge ist dann die Schlussfolgerung zwingend, dass das Management diesen Kenntnisstand nicht hat und gegen das TierSchG § 2 verstößt. Diese Schuldzuweisung muss entschieden zurückgewiesen werden. Die Tierhalter/innen sind wie die Kühe als Leidtragende des augenblicklichen Systems anzusehen.