Merkblatt Rind Rasse Holstein Friesian (HF)

Tierart: Rind
Rasse: Holstein Friesian (HF)
QUEN-Merkblatt Nr. 14
Bearbeitungsstand: 08.01.2024
Tierart: Rind
Rasse: Holstein Friesian (HF)
QUEN-Merkblatt Nr. 14
Bearbeitungsstand vom 08.01.2024

1. Beschreibung der Rasse

Äußeres Erscheinungsbild und laut Standard geforderte, kritische Merkmale:

Holstein Friesian (HF) Milchkuh: „Milchtyp“; hochbeinig, großes Euter; reduzierter Fleischansatz.

2.1 Bild 1

Foto: Holstein Friesian. Martin Bodman, CC BY-SA 2.0
https://commons.wikimedia.org/w/
index.php?curid=9299458

2.1 Bild 2

Foto: Holstein Friesian. 4028mdk09. CC BY-SA 3.0
https://commons.wikimedia.org/w/
index.php?curid=15210110
 

3. In der Rasse bekannte Probleme/Syndrome

In der Rasse Holstein Friesian (HF) sind folgende gehäuft vorkommende Probleme/ Gesundheitsstörungen und Dispositionen seit langem bekannt und beschrieben:
Hohe Inzidenz von „Produktionskrankheiten“ in den ersten 2 Monaten postpartum. Auftreten der sogenannten „Produktionskrankheiten“ wie u.a. in hoher Frequenz: Labmagenverlagerung, Nachgeburtsverhalten, Hypocalcämie, Metritis, Mastitis, Lahmheiten oder Fruchtbarkeitsstörungen.  Erkrankungen führen zu vorzeitigen Zwangsabgängen bei steigender Zahl von Todesfällen mit dem Ergebnis einer zu kurzen Nutzungsdauer von < 3 Laktationen.

Das mit steigender Bestandsleistung wachsende Risiko für viele Krankheiten (Hypokalzämie, Retentio secundinarum, Endometritis/Metritis, Ketose, Dislocatio abomasi, Lahmheit, Klauenbehandlung, sonstige Erkrankungen) ist begründet in einer Abhängigkeit vieler Krankheiten von der individuellen Milchleistung. Die einzelnen Tiere gelangen an ihre physiologische Leistungsgrenze bzw. wird diese überschritten.

In Thüringen/Deutschland erkranken 72,5- 81,8% der Milchkühe ernsthaft während einer Laktation. Auch in weiteren Bundesländern wurden hohe Erkrankungsraten innerhalb der ersten drei Laktationen beschrieben.

Die primär auf Steigerung der Milchleistung abzielende Zucht führt zu einem genetischen Antagonismus zwischen Milchleistung und Futteraufnahme mit der Folge chronischer Unterernährung und negativer Energiebilanz in den ersten 2 – 3 Monaten postpartum. Die metabolischen und hormonellen Folgen sind genetisch bedingte Krankheitsrisiken für Leberverfettung und Ketose und verursachen weitere Erkrankungen wie: Labmagenverlagerung, Fruchtbarkeitsstörungen, Mastitiden und Lahmheiten. 50 – 55 % aller jährlichen Abgänge erfolgen aufgrund von Erkrankungen.  Da die Zwangsabgänge überwiegend in der frühen Laktation und somit in einer Phase der raschen Steigerung der Milchleistung erfolgen, ist von der Überforderung der Leistungsfähigkeit der Kuh (§ 3 TSchG) auszugehen, die Erkrankungen nach sich zieht. Zusätzlich ergibt die Prüfung der zahlreichen genetischen Korrelationen zwischen Milchleistungen und Erkrankungen einen eindeutigen Hinweis auf einen Verstoß gegen den Paragraphen 11b des TSchG. 

Als ebenfalls erheblich tierschutzrelevant muss der niedrige Verkaufswert insbesondere der männlichen Kälber aus Milchrind-Hochleistungsrassen angesehen werden, der nicht selten zu einer Vernachlässigung der Gesundheitsfürsorge männlicher Kälber führt. Kälber aus der Milchviehhaltung wirtschaftlich zu mästen, ist insgesamt schwierig. Denn die eingesetzten Rinderrassen sind auf hohe Milchleistung gezüchtet, nicht auf guten Fleischansatz. Es gibt ein Überangebot an Kälbern aus der Milchviehhaltung, und Milchviehbetriebe erhalten für ein Kalb so wenig Geld, dass sich damit häufig nicht einmal die Kosten für die wenige Wochen dauernde Aufzucht decken lassen.

3.1 Vorkommen bei anderen Rinderrassen

Bei allen Milchrassen; in der Regel jedoch mit wesentlich geringerer Inzidenz.

4. Vorkommen bei anderen Tierarten

Gelegentlich Ziegen.

5. Symptomatik und Krankheitswert der oben genannten Defekte: Bedeutung/Auswirkungen des Defektes auf das physische/psychische Wohlbefinden (Belastung) des Einzeltieres u. Einordnung in Belastungskategorie∗

Die einzelnen zuchtbedingten Defekte werden je nach Ausprägungsgrad unterschiedlichen Belastungskategorien (BK) zugeordnet. Die Gesamt-Belastungskategorie richtet sich dabei nach dem jeweils schwersten am Einzeltier festgestellten Defekt. Das BK-System als Weiterentwicklung nach dem Vorbild der Schweiz ist noch im Aufbau, daher sind die hier vorgenommenen BK-Werte als vorläufig anzusehen.

Die Belastungen, welche durch Zuchtmerkmale entstehen können, werden in 4 Kategorien eingeteilt (Art. 3 TSchZV). Für die Zuordnung eines Tieres zu einer Belastungskategorie ist das am stärksten belastende Merkmal oder Symptom entscheidend (Art. 4 TSchZV).

Kategorie 0 (keine Belastung): mit diesen Tieren darf gezüchtet werden.

Kategorie 1 (leichte Belastung): eine leichte Belastung liegt vor, wenn eine belastende Ausprägung von Merkmalen und Symptomen bei Heim- und Nutztieren durch geeignete Pflege, Haltung oder Fütterung, ohne Eingriffe am Tier und ohne regelmäßige medizinische Pflegemaßnahmen kompensiert werden kann.

Kategorie 2 (mittlere Belastung): mit diesen Tieren darf nur gezüchtet werden, wenn das Zuchtziel beinhaltet, dass die Belastung der Nachkommen unter der Belastung der Elterntiere liegt.

Kategorie 3 (starke Belastung): mit diesen Tieren darf nicht gezüchtet werden.

Physisch

Je nach beteiligten Funktionskreisen können folgende Erkrankungen auftreten, die mit Leiden, Schmerzen und Schäden verbunden sind:

Mastitis, Fruchtbarkeitsstörungen, Lahmheiten, Stoffwechselerkrankungen, Infektionskrankheiten. 

Für diese Erkrankungen muss mit folgenden Leiden, Schmerzen und Schäden gerechnet werden:

Mastitis:
Bei akuter Erkrankung (Rötung, Hitze und Schwellung, erhebliche Schmerzen und Berührungsempfindlichkeit des Euters, Fieber, Teilnahmslosigkeit und Fressunlust, reduzierte Magen-Darm-Aktivität).

Fruchtbarkeitsstörungen:
Azyklische Kühe haben auf den Eierstöcken keine Funktionskörper. Es wachsen keine Follikel heran und die Kuh kommt nicht in Brunst.  

Stille Brunst: Die äusserlichen Brunstanzeichen stillbrünstiger Kühe sind nur schwach oder nicht zu erkennen, obwohl auf den Eierstöcken und in der Gebärmutter ein Brunstzyklus abläuft. Es reifen Brunstfollikel heran, aus denen ein Gelbkörpers entsteht.

Eierstockzysten: Bleibt der Eisprung am Brunstende aus, wächst der Follikel auf dem Eierstock weiter. Ab einem Durchmesser von rund zwei Zentimetern spricht man von Eierstocks-Zysten. Je nach Aufbau der Blasenwand unterscheiden sie „Follikelzysten“ oder „(teil) luteinisierte Thekazysten“. Oft sind Zystenkühe dauerbrünstig. Noch häufiger blockieren die Zysten allerdings den Zyklus und die Kuh kommt überhaupt nicht mehr in Brunst. 

Embryonaler Fruchttod: Die absolute Mehrheit der Kühe (75 -90 %) werden nach einer Bedeckung/Besamung tragend. Manche Kühe bleiben jedoch nicht trächtig. Der Embryo stirbt ab.

Gebärmutterentzündung-Endometritis: akute, fiebrige Erkrankung der Gebärmutter in der ersten Zeit nach dem Abkalben. Der Ausfluss wird gräulich-rot, manchmal mit bröckeligen Anteilen und beginnt zu stinken. Die Gebärmutter ist oft verdickt und schmerzhaft. Die Kuh zeigt deutliche Anzeichen von Schmerzen. 

Nachgeburtsverhalten (Retentio secundinarium) gestörte Nachgeburtsphase: Nur wenn Leber und das Immunsystem der Kuh funktionieren, kommt es zu einem problemlosen Ablösevorgang der Nachgeburt während der letzten Trächtigkeitstage. Ein Nachgeburtsverhalten tritt bei belasteter Leber und gestörter körpereigener Abwehr und verschiedenen anderen Faktoren insbesondere bei Wehenschwäche z.B. von Kühen mit beginnendem Milchfieber oder bei gestressten Kühen während oder kurz nach dem Abkalben auf. Betroffene Kühe zeigen  nach dem Abkalben Schmerzen im Beckenbereich und nachfolgend ein gestörtes Allgemeinbefinden (aufgezogener Rücken, anhaltender Pressdrang (abgestellter Schwanz oder Bauchpresse), Schwanz schlagen, in sich Hineinhören, Schmerzgesicht, erhöhte Körpertemperatur (> 39.5 °C). 

Lahmheiten:
Wenn ein Tier Lahmheit zeigt, ist in der Regel davon auszugehen, dass eine schmerzhafte Veränderung vorliegt. Leiden und Schmerzen: Rinder zeigen Schmerz auf andere Weise als die meisten Nutztiere. Die Schmerzsymptome sind oft unauffällig oder überhaupt nicht erkennbar. Das kann fälschlicherweise zu der Annahme führen, dass Rinder keinen Schmerz empfinden würden. Beschreibungen von Verhaltensweisen zur Früherkennung von Unwohlbefinden und Schmerz sind jedoch bekannt.

Stoffwechselerkrankungen:
-Ketose / Acetonämie / Fettmobilisationssyndrom / Fettleber (Störungen des Kohlenhydrat-Fett-Stoffwechsels)

-Pansenazidose / -übersäuerung (Entgleisungen des Säure-Basen Haushalts)

-Milchfieber / Hypokalzämie / Hypokalzämische Gebärparese (Imbalanzen des Mineralstoffwechsels) 

-Labmagenverlagerung: Die aus einer Energiemangelsituation entstandene Stoffwechselstörung und der daraus resultierende verstärkte Fettabbau führen auch zu einer Anhäufung von Endotoxinen (Bakteriengifte zum Beispiel von E.Coli) was zu einer weiteren Belastung der Gesundheit führt. Ihnen wird auch eine entscheidende Mitwirkung bei der Entstehung der Labmagenverlagerung zugeschrieben. Die Labmagenverlagerung muss häufig operiert werden.

Infektionskrankheiten durch Abwehrschwäche: 
Erkrankte Tiere führen zu erhöhten Kosten durch ggf. tierärztliche Intervention und häufig früher Schlachtung des Tieres. Das durchschnittliche Lebensalter von Holstein-Kühen liegt bei 4,6 Jahren. Gesunde Kühe könnten weit über 10 Jahre alt werden. Zum Ursache-Wirkung-Komplex siehe Abb.1.

Psychisch:

Im deutschen Tierschutzgesetz werden die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz von Gesundheit, Leben und Wohlbefinden von Tieren als Mitgeschöpfe geregelt. Wohlbefinden ist der Zustand körperlicher und seelischer Harmonie des Tieres in sich und – entsprechend seinen angeborenen Lebensbedürfnissen – mit der Umwelt. Wohlbefinden beinhaltet unter anderem auch die Befriedigung artspezifischer Bedürfnisse ohne Überforderung der Anpassungsfähigkeit. Nicht bereits vom Begriff der Schmerzen umfasste Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, die über ein schlichtes Unbehagen hinausgehen und eine nicht ganz unwesentliche Zeitspanne fortdauern, werden als Leiden definiert.

Die auf hohe Milchleistung gezüchteten Kühe sind häufig nicht in der Lage über die Fütterung ihren Energie- und Nährstoffbedarf ausreichend zu decken und befinden sich daher während der Laktation in einem permanenten Zustand der Unterversorgung durch negative Energiebilanz. Die Befriedigung dieses erlebten Mangels mit dem Streben nach Beseitigung ist durch die abverlangte Leistung für das Tier nicht erfüllbar. Der damit verbundene Verlust der Kontrolle bzw. Selbstwirksamkeit muss als negative mentale Erfahrung für das Tier angesehen werden, da seine Versuche den Mangel auszugleichen nicht erfolgreich sein können.

Gesamtbelastung:
Eine Einzelbewertung der möglichen Folgeerkrankungen einer genetisch fixierten Überforderung der physiologischen Kompensationsfähigkeit des Organismus ist in diesem Fall wenig aussagekräftig und wurde daher nicht vorgenommen. Vielmehr muss für Tiere mit den zurzeit üblichen genetisch fixierten priorisierten Leistungsmerkmalen, aufgrund der damit regelmäßig verbundenen Folgeerkrankungen oder Dispositionen für diese, eine Gesamtbelastung der Kategorie 3 im Regelfall angenommen werden. Züchterische Erkenntnisse lassen erwarten, dass ein sehr hoher Prozentsatz der Tiere mit dieser Genetik an mindestens einer der oben genannten Gesundheitsstörung betroffen sein wird.

Sehr gute Haltung und Gesundheitsmonitoring der Tiere kann die Gesamtbelastung auf Kategorie 2 reduzieren, es blöeibt jedoch ein zuchtbedingter Schaden des Tieres.

6. Vererbung, Genetik, ggf. durchschnittlicher Inzuchtkoeffizient für die Rasse (COI)

Die hohe Inzidenz der „Produktionskrankheiten“ ist eine Folge der primären Selektion auf eine Eigenschaft, hier: Milchleistung, ohne Berücksichtigung bzw. ausreichende Kenntnis der dieser Eigenschaft zugrundeliegenden Mechanismen.
Die direkte genetische Korrelation zwischen Steigerung der Milchleistung und der Häufigkeit von Erkrankungen wurde unzweifelhaft festgestellt. 

Die Problematik der genetisch bedingten Gesundheitsgefährdung lässt sich auch aus der Schlussfolgerung einer Übersichtsarbeit aus 2021 ableiten: “Unfortunately, this progress (Milchproduktion) has been accompanied by strong drawbacks, including loss of genetic diversity and deterioration of key biological mechanisms (e.g., health, resilience, robustness, welfare, longevity) in the most common dairy cattle breeds“.

6.1 Situation im Zuchtgeschehen

Der seit April 2021 eingeführte Relativzuchtwert Gesamt (RZG) der Holstein Friesian Milchkühe beinhaltet seit diesem Zeitpunkt auch mit 18 % am RZG, den Relativzuchtwert Gesund (mit RZEuterfit, RZKlaue, RZRepro und RZMetabol).
Abb.2: Übersicht Gewichtung der Merkmale für RZ G. 

Eine genetisch gestützte Selektion ist heute aufgrund der genomweiten Analysen möglich und deren Richtungsänderung deutet hin auf die Einsicht in eine notwendige Korrektur der Zuchtrichtung unter Berücksichtigung von genetisch bedingten Krankheitsrisiken, die sich bei phänotypischer Selektion in der Vergangenheit unfreiwillig akkumuliert haben. Es ist diese Änderung des Relativzuchtwert “Gesund“, als Versuch der Korrektur der Fehler der Vergangenheit und damit Eingeständnis der genetischen Krankheitsrisiken zu werten, die aber keinesfalls ausreichend ist, um die gesundheitlich problematische Situation der Milchkühe im notwendigen Ausmaß zu verbessern.

Eine geringe Verbesserung der Situation ist seit August 2023 durch den Relativzuchtwert Öko (RZÖko) im Bereich der Rahmenbedingungen und Anforderungen für ökologische Milchviehbetriebe festgeschrieben (Details siehe Punkt 12). Hier erfolgte eine Reduzierung des Zuchtziels Milchleistung, eine Erhöhung des Zuchtziels Gesundheit und die Aufnahme des Body Condition Scores (BCS) als zusätzliches Zuchtziel. Weiterhin nicht enthalten ist das Ziel der ausreichenden Futteraufnahme post partum und die damit zusammenhängende negative Energiebilanz mit allen gesundheitlichen Folgen für sämtliche Milchrassen.

Auch wenn  eine weitere fachübergreifende Diskussion der Kausalität der Erkrankungen einschließlich der genetischen Komponenten notwendig ist, sind weitere drastische Veränderungen der Zuchtwerte zugunsten der Gesundheit der Tiere erforderlich.

Die aufgrund der genomweiten Analysen gewonnenen Daten müssen regelmäßig evaluiert und öffentlich zugänglich gemacht werden, damit erkennbar wird, auf welche Weise Korrekturen vorgenommen wurden und welche Effekte u. U. zu erwarten sind.

 

7. Diagnose – weitergehende Untersuchungen

Veterinärmedizinisch übliche klinische Diagnosestellung entsprechend der auftretenden Erkrankungen ist in Relation zur Milchleistung (Berücksichtigung auch der durchschnittlichen Herdenleistung) zu setzen.

8. Aus tierschutzfachlicher Sicht notwendige oder mögliche Anordnungen

Allgm. Vorbemerkung: Entscheidungen über Zucht- oder Ausstellungsverbot sollten im Zusammenhang mit der Belastungskategorie (BK) getroffen werden. Ausschlaggebend für ein Zuchtverbot kann je nach Ausprägung und Befund sowohl der schwerste, d.h. das Tier am meisten beeinträchtigende Befund, und dessen Einordnung in eine der Belastungskategorien (BK) sein, oder auch die Zusammenhangsbeurteilung, wenn viele einzelne zuchtbedingte Defekte vorliegen.

a.  notwendig erscheinende Anordnungen

Zuchtverbot (unmittelbar auf § 11b gestützte Anordnung nach § 16a Abs. 1 S. 1) bei Tieren der Belastungskategorie 3.

b. mögliche Anordnungen

Bedeckung vorhandener robusterer Rinder oder Kühe der Rasse Holstein Friesian mit Bullen einer Zweinutzungsrasse und auf diesem Wege langsame Remontierung des Bestandes durch Tiere mit etwas geringerer Milchleistung gleichzeitig aber robusterer Gesundheit und höherem Muskelansatz. So wird bereits in der nächsten Generation mit hoher Wahrscheinlichkeit das Merkmal Produktionskrankheiten durch Leistungsüberforderung abgemildert.

Bitte beachten:

Maßnahmen der zuständigen Behörde müssen erkennbar geeignet sein, auch in die Zukunft wirkend Schaden von dem betroffenen Tier und/oder dessen Nachzucht abzuwenden. Es handelt sich im Hinblick auf Art und Bearbeitungstiefe von Anordnungen und Zuchtverboten immer um Einzelfallentscheidungen im Ermessen der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung der vor Ort vorgefundenen Umstände.

9. Allgemeine tierschutzrechtliche Bewertung

Tiere der Rasse Holstein Friesian sind gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 1 und 2c) TierSchG als Qualzucht einzustufen.

Begründung:

Gemäß § 11b TierSchG ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten, soweit züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass als Folge der Zucht bei den Nachkommen u.a.

  • erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 1) oder
  • die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt (§ 11b Abs. 1 Nr. 2c)

Die Holstein Friesian Milchkuh gilt infolge der konsequenten, über Jahrzehnte praktizierten primären Selektion auf hohe Milchleistungsproduktion als klassische Milchleistungskuh. Ihre Zucht erfüllt den Tatbestand der Qualzucht durch die -aufgrund der gezielten genetischen Veränderung zur Hochleistungsmilchkuh- in der Folge auftretenden Produktionskrankheiten.

Der Tatbestand des § 11b Abs.1 TierSchG sieht vor, dass für den Züchter züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass als Folge der Zucht eine in § 11 b Abs.1 genannte Folge eintritt. Abzustellen ist dabei gemäß der Gesetzesbegründung „auf wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, d.h. Erkenntnisse, deren Kenntnis von einem durchschnittlich sachkundigen Züchter erwartet werden können“. Züchterische Erkenntnisse liegen vor, wenn aufgrund allgemeiner zugänglicher Quellen (insbes. Stellungnahmen von Zuchtverbänden, Fachzeitschriften, -büchern und tierärztlichen Gutachten sowie dem Qualzuchtgutachten des BMEL) bestimmte Erfahrungen mit der Zucht bestimmter Tierrassen bestehen, die sich wegen ihrer Übereinstimmung zu annähernd gesicherten Erkenntnissen verdichten.

Die bei der Holstein Friesian Milchkuh und anderen auf Milchleistung selektierten Rassen auftretenden Erkrankungen sind Gegenstand zahlreicher Aufsätze und Gutachten. So heißt es z.B. in der Stellungnahme „Leistungen der Milchkühe und deren Gesundheitsrisiken“ der verbändeübergreifenden Arbeitsgruppe „Tierschutz in der Nutztierzucht“ der Bundestierärztekammer auf Seite 21: „Es dürfte kein Zweifel bestehen, dass klinische Gepärparesen (Festliegen) oder Ketosen, Labmagenverlagerung, Nachgeburtsverhalten, akute Mastitiden und v.a. Lahmheiten mit Schmerzen, Leiden und Schäden verbunden sind, die durch die z.T. hohen Inzidenz dieser Erkrankungen und insbesondere deren Dauer gegeben sind.“ Die Holstein Friesian Milchkuh wird hier explizit als klassische Milchleistungskuh genannt (S.14/15).

Als Schaden ist die durch Selektion veränderte Genetik anzusehen. Die auftretenden Gesundheitsstörungen sind Folgeerkrankungen der genetisch fixierten Überforderung der physiologischen Ausgleichsmöglichkeit des Organismus.

Ergibt sich aus diesen züchterischen Erkenntnissen eine genetisch bedingte körperliche oder organische Veränderung, die zu Schmerzen, Leiden oder Schäden führt, als ernsthafte, naheliegende Möglichkeit, dann ist der Tatbestand der Qualzucht vollendet, selbst wenn die Folgen später ausbleiben..

Bei einer Erkrankungsrate von 72,5- 81,8% der Kühe während einer Laktation ist das Tatbestandsmerkmal des „erwarten lassens“ zweifelsohne erfüllt.

 

 

10. Relevante Rechtsprechung

Nicht Bekannt.

11. Anordnungsbeispiel vorhanden?

Noch nicht.

12. Sonstiges

Abb. 3: Übersicht Gewichtung der Merkmale für Relativzuchtwert Öko.

13. Literaturverzeichnis/ Referenzen/ Links

An dieser Stelle wird nur eine Auswahl an Quellen zu den oben beschriebenen Defekten und ggf. allgemeine Literatur zu zuchtbedingten Defekten bei Milchrindern angegeben. Umfangreichere Literaturlisten zum wissenschaftlichen Hintergrund werden auf Anfrage von Veterinärämtern ausschließlich an diese versendet.

Hinweis: Die Beschreibung von mit dem Merkmal verbundenen Gesundheitsproblemen, für die bisher keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, erfolgen vor dem Hintergrund entsprechender Erfahrungen der Experten und Expertinnen aus der tierärztlichen Praxis, und/oder universitären Einrichtungen, sowie öffentlich frei einsehbaren Datenbanken oder Veröffentlichungen von Tier-Versicherungen und entstammen daher unterschiedlichen Evidenzklassen.

Da Zucht und Ausstellungswesen heutzutage international sind, beziehen sich die Angaben in der Regel nicht nur auf Prävalenzen von Defekten oder Merkmalen in einzelnen Verbänden, Vereinen oder Ländern.

Quellen:

Martens H, Heesen S, Bothmann C, Götz H-., Richter T. Leistungen der Milchkühe und deren Gesundheitsrisiken 2022 [Stand: 03.11.2023]. Verfügbar unter: https://www.bundestieraerztekammer.de/tieraerzte/stellungnahmen/.

PraeRi: TiHo, FU, LMU. Abschlussbericht komplett_2020_06_30_korr_2020_10_22: Prävalenzstudie: PraeRi: Tiergesundheit, Hygiene und Biosicherheit in deutschen Milchviehbetrieben [Stand: 30.12.2023]. https://ibei.tiho-hannover.de/praeri/pages/69

Boehringer Ingelheim. Stoffwechselerkrankungen in den Griff bekommen 2005; (2):12–4 [Stand: 21.11.2023]. https://www.tiergesundheitundmehr.de/alle-ausgaben

Hirt A, Maisack C, Moritz J, Felde B, Hrsg. Tierschutzgesetz: Mit TierSchHundeV, TierSchNutztV, TierSchVersV, TierSchTrV, EU-Tiertransport-VO, TierSchlV, EU-Tierschlacht-VO, TierErzHaVerbG : Kommentar. 4. Auflage. München: Verlag Franz Vahlen; 2023.

Deutscher Bundestag. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes [Drucksache 17/10572] 2012:S. 31 [Stand: 21.11.2023]. https://dserver.bundestag.de/btd/17/105/1710572.pdf

Lorz A, Metzger E. Tierschutzgesetz: Mit Allgemeiner Verwaltungsvorschrift, Art. 20a GG sowie zugehörigen Gesetzen, Rechtsverordnungen und Rechtsakten der Europäischen Union : Kommentar. 7., neubearbeitete Auflage. München: C.H. Beck; 2019.

Cirsovius T. Tierschutzrechtliche Vorgaben im Zusammenhang mit der Milchviehzucht: Rechtsgutachten, erstellt im Auftrag der Tierärztekammer Berlin, [Stand: 10.07.2022]. https://qualzucht-datenbank.eu/wp-content/uploads/2022/06/Gutachten-Milchviehzucht-25.05.22.pdf

Oekologische Tierzucht. Neuer ökologisch geprägter Gesamtzuchtwert für die Rinderrasse Deutsche Holsteins: RZÖko.: Zielstellung und Zusammensetzung; 2023 [Stand: 21.11.2023]. https://www.oekotierzucht.de/rzoeko/

Eine ausführliche Literaturliste wird an Veterinärämter auf Anfrage versandt