Merkblatt Hund Ohren

Tierart: Hund
Defekt an Körperteil: Ohren
QUEN-Merkblatt Nr. 10
Bearbeitungsstand: 24.02.2023
Tierart: Hund
Defekt an Körperteil: Ohren
QUEN-Merkblatt Nr. 10
Bearbeitungsstand vom 24.02.2023

1. Beschreibung des Merkmals

Überlange und/ oder schwere Schlappohren.

Es wird kontrovers diskutiert, ob „Schlappohren“ typische Domestikationsmerkmale verschiedener Haustiere sind. 

Dazu sind in einigen Rassestandards überlange Ohren gefordert. Beispiel Basset (FCI-Standard Nr. 163):Tief, genau unterhalb der Augenlinie angesetzt, lang, nur bis etwas weiter als zur Spitze eines Fangs von korrekter Länge reichend.“

2.1 Bild 1

Foto: Bassett (WDS 2017)
mit frdl. Genehmigung von D. Plange

2.1 Bild 2

Foto: Bassett (WDS 2017). Mit frdl. Genehmigung von D. Plange

3. Betroffene Hunderassen

z.B. Bloodhounds, Basset, Basset bleu de Gascogne, Grand Basset Griffon Vendéen, Cocker Spaniel und weitere Spaniels wie z.B. Cavalier King Charles Spaniel, Irish Water Spaniel, Sussex Spaniel usw., Black and Tan Coonhound, Hunde vom Molossertyp u.a. u.a. Fila Brasileiro, Deutsche Doggen und die Tibetdogge/Do Khyi, Schweizer Laufhunde und weitere Lauf- und Schweißhunde.

4. Vorkommen bei anderen Tierarten

Kaninchen (Widder), Ziegen

5. Mit dem Merkmal möglicherweise verbundene Probleme/Syndrome

Im Gegensatz zu anderen Rassen mit aufrechten oder offeneren Ohren, lassen lange und/ oder schwere Schlappohren keine genügende Luftzirkulation zu und es hält sich eine warme, feuchte Umgebung in welcher sich Entzündungen entwickeln können. Die Ohren müssen häufig innen und außen gereinigt werden, um Infektionen und Ohrmilben zu vermeiden. Häufig kommt es auch zu Verletzungen und Othämatomen. Viele Tiere leiden unter einer ungewöhnlich hohen Inzidenz von Augen-, Haut- und Ohrenkrankheiten. Gleichzeitig ist bei vielen dieser Rassen viel „lose“ Haut gefordert die durch schwere Ohren nach unten gezogen wird, weshalb offene Augen (Ektropium) zur häufigen Begleiterscheinung zählen.

6. Symptomatik und Krankheitswert der oben genannten Defekte: Bedeutung/Auswirkungen des Defektes auf das physische/ psychische Wohlbefinden (Belastung) des Einzeltieres u. Einordnung in Belastungskategorie

Die einzelnen zuchtbedingten Defekte werden je nach Ausprägungsgrad unterschiedlichen Belastungskategorien (BK) zugeordnet. Die Gesamt-Belastungskategorie richtet sich dabei nach dem jeweils schwersten am Einzeltier festgestellten Defekt. Das BK-System als Weiterentwicklung nach dem Vorbild der Schweiz ist noch im Aufbau, daher sind die hier vorgenommenen BK-Werte als vorläufig anzusehen.

Physisch: Symptome sind abhängig von Form und Ausprägungsgrad des Merkmals selbst und Vorkommen von weiteren Veränderungen oder entsprechenden Folgeerscheinungen. 

Übermäßig lange Ohren führen zum Schleifen der Ohrspitzen auf dem Erdboden, wenn die Hunde eine Spur verfolgen. Schwere, lange Ohren führen durch Minderbelüftung zu schmerzhaften Ohrenentzündungen. Schwere Ohren in Verbindung mit loser Haut, führen zum Auswärtsrollen des unteren Augenlids (Ektropium) und Entzündungen am Auge. 

Psychisch: Hunde mit relativ unbeweglichen, schweren Ohren sind zudem in ihrem arteigenen Ausdrucksverhalten und ihrer Kommunikation stark eingeschränkt. Die visuelle Kommunikation und die für Tier und Mensch gut zu “lesenden“, gleichzeitig komplexen durch Haltung und Bewegung der Ohren transportierten Signale gehören zu den wichtigen, lautlosen Bestandteilen der Hundesprache. Eine aktuelle, aus dem Bereich der Tierethik stammende Definition von artgerecht ist dabei die „Gerechtigkeit für das Individuum entsprechend der in ihm genetisch verankerten Lebensweise seiner Art.“ Der Sollzustand eines Tieres beurteilt sich an Tieren der gleichen Art.

Belastungskategorie: Noch nicht eingeordnet.

7. Vererbung, Genetik, ggf. bekannte Genteste, ggf. Generic Illness Severity Index

Bei allen Wirbeltieren entsteht in einer frühen Phase der Embryonalentwicklung über der Anlage des späteren Rückenmarks eine sogenannte Neuralleiste, die aus einer Schicht von Stammzellen besteht. Die Zellen dieser Neuralleiste wandern mit der Zeit in ganz verschiedene Körperteile des Embryos. Einige sind an der Bildung von Kiefer und Zähnen beteiligt, aus anderen entwickelt sich der Knorpel der Ohren, wieder andere verwandeln sich in pigmentbildende Hautzellen oder beeinflussen das Hirnwachstum. Die Neuralleistenzellen sind aber auch Vorläufer der Nebennieren, deren Hormone Aggressionsverhalten und Stressreaktionen steuern. Wenn eine Züchtung einzig und allein auf die Zahmheit abzielt, könnte das die Auslese von Mutationen bewirken, die zu leicht geschädigten Neuralleistenzellen führen. Das Ergebnis wären Tiere, die weniger Stresshormone bilden und sich wegen der verminderten Funktion ihrer Nebennieren weniger aggressiv verhalten. Dieselben mutierten Stammzellen können in anderen Körperregionen die bekannten Merkmale des Domestikationssyndroms auslösen. So kommt es zu Schlappohren, weißen Flecken im Fell und einer verkürzten Schnauze. Bei Haustieren und experimentell domestizierten Füchsen wurde eine Unterfunktion der Nebennieren und ein verringerter Spiegel an Stresshormonen im Blut festgestellt. Aus dem Jahr 2020 gibt es z.B. allerdings auch eine Studie, die die Existenz eines Domestikationssyndroms in Frage stellt (Lord et al. 2020).

Ein kommerzieller Gentest ist nicht bekannt.

8. Diagnose – weitergehende Untersuchungen

Die Ausprägung des Merkmals ist durch äußerliche Betrachtung und Untersuchung zu diagnostizieren. Ggf. komplettieren weitere fachtierärztliche Untersuchungen der Ohren, Augen und bei einigen Rassen am Skelettsystem, das Gesamtbild.

9. Aus tierschutzfachlicher Sicht notwendige oder mögliche Anordnungen

Entscheidungen über Zucht- oder Ausstellungsverbot sollten im Zusammenhang  mit der Belastungskategorie (BK) getroffen werden. Ausschlaggebend für ein Zuchtverbot kann je nach Ausprägung und Befund sowohl der schwerste, d.h. das Tier am meisten beeinträchtigende Befund, und dessen Einordnung in eine der Belastungskategorien (BK) sein, oder auch die Zusammenhangsbeurteilung, wenn viele einzelne zuchtbedingte Defekte vorliegen. Berücksichtigt werden sollte ggf. auch der  individuelle Inzuchtkoeffizient eines Tieres.

a) notwendig erscheinende Anordnungen

Ausstellungsverbot

Bei dem Tier besteht aufgrund der sichtbaren Veränderung der Verdacht einer Qualzucht gem. §11b TierSchG, deshalb wird die Vorstellung des Tieres zur Bewertung und Ausstellung untersagt.

je nach Ausprägungsgrad ggf. Zuchtverbot 

Eine unmittelbar auf § 11b gestützte Anordnung nach § 16a Abs. 1 S. 1 

b) mögliche Anordnungen

Wenn mildere Mittel nicht zum Erfolg führen: Unfruchtbarmachung und ggf. Überweisung zu weiterer fachtierärztlicher klinischer Untersuchung.

Bitte beachten:

Maßnahmen der zuständigen Behörde müssen erkennbar geeignet sein, auch in die Zukunft wirkend Schaden von dem betroffenen Tier und/oder deren Nachzucht abzuwenden. Es handelt sich im Hinblick auf Art und Bearbeitungstiefe von Anordnungen und Zuchtverboten immer um Einzelfallentscheidungen im Ermessen der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung der vor Ort vorgefundenen Umstände.

10. Allgemeine tierschutzrechtliche Bewertung

Aus tierärztlicher Sicht sind Hunde mit den oben beschriebenen Defekten/ Syndromen in Deutschland gemäß §11b TierSchG als Qualzucht einzuordnen.

Dabei ist zu beachten, dass das Zuchtverbot nicht nur dann greift, wenn mit Tieren gezüchtet wird, die selbst qualzuchtrelevante Merkmale aufweisen (Merkmalsträger), sondern auch dann, wenn bekannt ist oder bekannt sein muss, dass ein zur Zucht verwendetes Tier Merkmale vererben kann, die bei den Nachkommen zu einer der nachteiligen Veränderungen führen können (Anlageträger; insbesondere Tiere, die bereits geschädigte Nachkommen hervorgebracht haben; vgl. Binder § 5 ÖTSchG zu Z 1).

 – Ein wichtiges Indiz für einen erblichen Defekt ist, dass eine Erkrankung oder Verhaltensabweichung bei verwandten Tieren häufiger auftritt als in der Gesamtpopulation. Gegen einen Schaden spricht nicht, dass sich die Rasse oder Population über längere Zeit als lebensfähig erwiesen hat (vgl. Lorz/Metzger § 11b Rn. 12).

 – Das Verbot gilt unabhängig von der subjektiven Tatseite, also unabhängig davon, ob der Züchter selbst die Möglichkeit der schädigenden Folgen erkannt hat oder hätte erkennen müssen (Lorz/Metzger § 11b Rn. 4). Wegen dieses objektiven Sorgfaltsmaßstabes kann er sich nicht auf fehlende subjektive Kenntnisse oder Erfahrungen berufen, wenn man die jeweiligen Kenntnisse und Erfahrungen von einem sorgfältigen Züchter der jeweiligen Tierart erwarten kann. 

– Vorhersehbar sind erbbedingte Veränderungen bei den Nachkommen auch dann, wenn ungewiss ist, ob sie erst nach einem Generationensprung in späteren Generationen auftreten (vgl. Goetschel in Kluge § 11b Rn. 14).

Begründung:

Gem. §11b TierSchG ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten, soweit züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass als Folge der Zucht bei der Nachzucht oder den Nachkommen u.a.

  • erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 1 TierSchG) oder
  • mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 a) TierSchG) oder
  •  die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 c) TierSchG).

Die Zucht von Tieren mit einem oder mehreren der oben beschriebenen Defekte erfüllt den Tatbestand der Qualzucht durch:

Ein Tier mit einer zuchtbedingten und ggf. einer vom Rassestandard geforderten Übertypisierung der Ohren (ggf. bereits auch begleitet von weiteren sichtbaren Defekten),  ist bereits gemäß dem sogn. Qualzuchtgutachten als Qualzucht klassifiziert und beim Vorkommen von weiteren Veränderungen oder entsprechenden Folgeerscheinungen wurde von der Zuchtverwendung abgeraten. Erbkrankheiten und -schäden, sofern sie bei einer Rasse gehäuft auftreten und in Kauf genommen werden, fallen auch dann unter § 11b, wenn sie mit dem Zuchtziel nicht in Verbindung stehen.

Das o.g. Gutachten bezog sich auf eine Gesetzgebung noch vor der Einfügung des Artikel 20a (Tierschutz als Staatsziel) ins Grundgesetz.

Gem. §11b TierSchG in der aktuellen Fassung ist verboten, Wirbeltiere zu züchten […], soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse […] erwarten lassen, dass als Folge der Zucht […]bei der Nachzucht, den […] Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder […] bei den Nachkommen mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten […]

Eine hochsignifikante Assoziation besteht zwischen schweren und/oder enganliegenden und zu langen Ohren und Erkrankungen des inneren und äußeren Ohres, loser Haut und Veränderungen am Unterlid des Auges (Ektropium), die beim Hund selbst und seinen Nachkommen zu Leiden, Schmerzen und Schäden führen können. 

Dazu handelt es sich bei den Ohren des Hundes um einen Körperteil, der für das artgerechte Verhalten des Tieres von nicht unerheblicher Bedeutung ist und bestimmte Funktionen zu erfüllen hat. Auch die Einschränkung des arteigenen Ausdrucks- und Kommunikationsverhaltens ist als Verhaltensstörung und Leiden zu werten. 

Bei einigen Tieren finden sich mehrere Symptome von zuchtbedingten Defekten, die bereits einzeln betrachtet zu einem Zuchtausschluss führen müssen.

Fazit: Das Tier selbst ist als Defekt/Qualzucht zu klassifizieren.

Züchterische Erkenntnisse lassen nicht nur erwarten, dass bei den Nachkommen mit Schmerzen, Leiden und Schäden verursachenden Einschränkungen gerechnet werden muss, sondern es muss als erwiesen angesehen werden, dass ein mehr oder weniger großer Anteil der Nachkommen mit nicht unerheblichen Einschränkungen des Wohlbefindens wird leben müssen.

Ausführliche rechtliche Bewertungen und/oder Gutachten können, soweit schon vorhanden, auf Anfrage Veterinärämtern zum dienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt werden.

11. Relevante Rechtsprechung

Nicht bekannt.

Dazu sind ggf. auch Rechtsprechungen zu berücksichtigen, die sich auf die Funktionseinschränkung oder Funktionslosigkeit von Organen oder Schäden an Organen beziehen.

12. Anordnungsbeispiel vorhanden?

Nein.

13. Literaturverzeichnis/ Referenzen/ Links

An dieser Stelle wird nur eine Auswahl an Quellen zu den oben beschriebenen Defekten  und ggf. allgemeine Literatur zu zuchtbedingten Defekten bei Hunden angegeben. Umfangreichere Literaturlisten zum wissenschaftlichen Hintergrund werden auf Anfrage von Veterinärämtern ausschließlich an diese versendet.

Hinweis: Die Beschreibung von mit dem Merkmal verbundenen Gesundheitsproblemen, für die bisher  keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, erfolgen vor dem Hintergrund entsprechender Erfahrungen der Experten und Expertinnen aus der tierärztlichen Praxis, und /oder universitären Einrichtungen, sowie öffentlich frei einsehbaren Datenbanken oder Veröffentlichungen von Tier-Versicherungen und entstammen daher unterschiedlichen Evidenzklassen.

Da Zucht und Ausstellungswesen heutzutage international sind , beziehen sich die Angaben in der Regel nicht nur auf Prävalenzen von Defekten oder Merkmalen in einzelnen Verbänden, Vereinen oder Ländern.

Quellen:

Gough et al. (2018): Breed Predispositions to Disease in Dogs and Cats.

Breed Predispositions to Disease in Dogs and Cats, 3rd Edition | Wiley

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