Meerschweinchen
Die Zucht von Meerschweinchen ist in Deutschland in Vereinen organisiert. Der größte Verband, aus dem nach der Gründung im Jahre 1987 auch viele andere Bezirks- und Landesverbände hervorgingen, ist der „Meerschweinchenfreunde Deutschland Bundesverband Deutschland e.V. (MFD BD e.V.“). Der Bundesverband MFD BD e.V. ist seit 1998 Mitglied des Europäischen Dachverbandes der Geflügel-, Tauben-, Vogel-, Kaninchen- und Caviazüchter. Dieser Verband mit aktuell 34 Mitgliedsländern legt auf europäischer Ebene die Europastandards für „Rassen und Farbschläge“ fest. Der Standard stellt einen Kompromiss der nationalen Standards dar. Demnach werden Rassen und Farben dann in den Standard aufgenommen, wenn sie von mindestens drei Mitgliedsländern anerkannt wurden.
In der Hobby-Meerschweinchenzucht sind vor allen Dingen phänotypische Merkmale wie Haarfarbe und Haarstruktur von Bedeutung. Weil ein wichtiger Faktor zur Festlegung von Rassestandards „Schönheitsaspekte“ ist, sind diese im zeitlichen Verlauf so veränderbar, wie die Vorstellungen von Schönheit und Ästhetik selbst.
Die Rassestandards fokussieren daher auf phänotypische Merkmale, die durch unterschiedliche Zuchtmethoden hervorgebracht werden. Zu den in der Heimtierzucht gängigen Methoden gehören die Reinzucht, Verdrängungszucht, Inzucht und die Linienzucht. Während Rassen nach gängiger Lehrmeinung in der Tierzucht eine gemeinsame genetische Abstammungslinie von einem Teil einer Population mit gleichen phänotypischen Merkmalen unterstellt, bezeichnen Linien (Zuchtlinien, engl. strain) Organismen einer Art, die Merkmale mit geringfügig unterschiedlichen aber charakteristischen Merkmalen ausbilden. Auch in der einschlägigen Literatur über Meerschweinchenzucht wird der Begriff „Linie“ nicht klar definiert und vom ebenso nur oberflächlich definierten Begriff „Rasse“ abgegrenzt. Linien gelten als „genetisch einheitlicher“ als die anderen Mitglieder der als Rasse bezeichneten Gruppe.
Bei der Fokussierung auf den Phänotyp, werden Tiere mit einem sehr geringen bis hin zu einem sehr weiten Verwandtschaftsgrad miteinander verpaart. Dabei stellt Inzucht die extremste Variante der Zucht mit nahe verwandten Tieren unterschiedlicher Generationen (Zucht zwischen Vater-, Mutter-, Tochter und Sohn) dar. Generell ist die Inzucht, zu der auch die Linienzucht gehört, bei Meerschweinchen mit dem gleichen Risiko für Beeinträchtigungen der Gesundheit verbunden wie bei anderen Tierarten.
Die Rassestandards auf der Grundlage des Bundesverbandes MFD BD e.V. basieren auf phänotypisch gewünschten und unerwünschten Merkmalen. Viele ausgestellte Rassen in Deutschland sind auf holländische Linien zurückzuführen, die wiederum in einem Schweizer Verein erarbeitet wurden. Dazu kamen die Standards der amerikanischen und englischen Rassen.
Als unerwünscht werden angegeben 1. Entweder „Fehler“ im Sinne nicht eingehaltener Rassestandards. 2. Eigenschaften, die mit den erwünschten und vordergründig selektierten (standardisierten) phänotypischen Merkmalen nichts zu tun haben (Blindheit, Taubheit usw.) oder 3. Mängel, die die Haltung und Pflege der Tiere betreffen.
Inwieweit phänotypische Merkmale den Rassestandards entsprechen, wird – im Jargon der Heimtierzüchter*innen – durch sogenannte „Fehler“ festgelegt. Dabei werden Fehler passiv definiert, nämlich als vom Standard abweichende oder fehlende Merkmale. Fehler sollen nach den Vorstellungen des Bundesverbandes MFD BD e.V. einerseits die Abweichungen vom Idealzustand einer Rasse (also das Prädikat) beschreiben und andererseits durch durch Definition von Ausschlusskriterien einzelner (ausgestellter) Individuen eine „Übertypisierung“ von gewünschten Merkmalen ausschließen. Was eine Übertypisierung ist, wird nicht definiert. Ziel ist die Zucht „rein[er] und qualitativ hochwertiger[er]“ Linien. Was damit gemeint sein könnte, zeigt eine Auslegung in einem Ratgeber für die Zucht und Haltung von Meerschweinchen, die sich an den Vorstellungen des Bundesverbandes MFD BD e.V. orientiert. Demnach soll die Zucht von Tieren verhindert werden, die unter natürlichen Bedingungen entweder nicht lebensfähig sind oder körperliche Behinderungen aufweisen, die den Kriterien einer Qualzucht entsprechen. Auch wenn die Fehlerqualifikation für „Typ und Bau“, „Behaarung“, „Kopf und Augen“ und „Kondition“ jeweils in „leichte“ und „schwere Fehler“ eingeteilt werden, so geben sie keine Auskunft darüber, ob und ggf. warum es sich bei diesen Fehlern auch um zuchtbedingte Defekte (Qualzuchtmerkmale) handelt oder handeln könnte. Eine solche Differenzierung wird auch dadurch erschwert, dass ästhetische (erwünschte) Rassemerkmale bei der Fehlerqualifikation mit dem Exterieur (Pflege, Kondition und Genetik) der Tiere vermischt werden. Denn erstens sind nicht alle Abweichungen vom Rassestandard „erbliche Fehler“ insofern, als dass sie selbst Defekte oder Krankheiten darstellen oder zu Krankheiten führen können und zweitens sind nicht alle Fehler „Qualzuchten“ im Sinne des §11b des Tierschutzgesetzes. Auch der Verweis des MFD BD e.V. auf erbliche Fehler, zu denen Zwergwuchs, Missbildungen, Fußanomalien oder Zahnfehlstellungen gehören, hilft hier nicht weiter. Denn diese Krankheiten werden nicht in einen Ursache- und Wirkungskontext gestellt. Festgelegt wird dabei nicht, 1. welche Kriterien zur Beurteilung einer Rassedisposition herangezogen werden müssen, 2. welche (angeborenen) Anomalien eine Rassedisposition (in Bezug auf mgl. Rassestandards) darstellen und 3. inwiefern rassedisponierte Anomalien zugleich auch Qualzuchtmerkmale gemäß §11b TierSchG darstellen könnten. Zu den schweren Fehlern nach europäischem Standard gehören anatomische Deformationen und Anomalien, überzählige oder fehlende Zehen oder teilweise oder vollständig fehlende Hoden.
Auf europäischer Ebene sind derzeit 65 Rassen registriert. Die Rassestandards auf nationaler Ebene und damit die des Bundesverbandes MFD BD e.V. weichen vom EU Standard ab. Dort sind lediglich 14 Rassen registriert. Das Nacktmeerschweinchen „Skinny“ wird bspw. nicht anerkannt. Seit Mai 2024 wurde es hingegen auf europäischer Ebene vom Europäischen Dachverband der Geflügel-, Tauben-, Vogel-, Kaninchen- und Caviazüchter (EE) zum Standard hinzugefügt. Die Zahl der Rassen ändert sich ständig und hängt vor allen Dingen von den aktuellen Schönheitsvorstellungen der Hobbyhalterinnen ab.Die z.B. vom MFD BD e.V. zugelassenen Meerschweinchenrassen, lassen sich in Langhaar- und Kurzhaarrassen aufteilen und sind in der nachfolgenden Tabelle aufgelistet.
Langhaarrassen | Kurzhaarrassen |
Sheltie | Glatthaar |
Coronet | English Crested |
Peruaner | American Crested |
Texel | Rosette |
Merino | Rex |
Alpaka | US Teddy |
Lunkarya | CH Teddy |