Was wurde bisher erreicht? 

Eine nicht zu unterschätzende Verantwortung liegt neben den Hundezüchtern vor allen Dingen bei den Zuchtrichtern. Diese bewerten Einzeltiere, in der Regel ohne die Geschwistertiere zu kennen, könnten also eigentlich keine Aussage über den tatsächlichen Zuchtwert des zu beurteilenden Tieres machen. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass es sich bei den Ausstellungen um reine Schönheitswettbewerbe handelt und ein Zuchtrichter durchaus, je nachdem in welchem Land er zum Richten eingeladen wird, dort ggf. auch Tiere bewertet, die gemäß §11b TierSchG eindeutig als Qualzucht einzuordnen sind. Aber auch in Deutschland werden immer noch Tiere ausgestellt die z.B. für jeden Laien erkennbare Defekte wie fehlende (Rute, Fell) übertypisierte (Ohren Kopfform), oder funktionsuntüchtige Organe zur Schau stellen.

Im Ausstellungswesen – egal welcher Tierart, sind nicht die Tierärzte die Schnittstelle zwischen Züchtern, Besitzern, Gesellschaft und Politik, sondern tragen die Zuchtrichter die hauptsächliche und moralische Verantwortung für die Entwicklung der Zucht.

Auf dem Deutschen Tierärztetag im Jahr 2015 (Bamberg) wurde von einer Vertreterin des wissenschaftlichen Beirates der größten Dachorganisation der Hundezuchtvereine in Deutschland formuliert: „Und besonders bestürzend ist, dass die züchterischen Exzesse, die zur Qualzucht führten, unter unser aller Augen stattgefunden haben. Das Unglück das sich anbahnte, wäre zu sehen gewesen, wenn wir nur rechtzeitig hingesehen hätten. […] wenn der Schädel des englischen Bulldogs fast doppelt so umfangreich geworden ist, wie es der Rassestandard vorgibt und wenn so mancher brachycephale Hund nach Atemluft ringen muss, dann hat das nichts mehr mit biologischen Zwangsläufigkeiten oder unvermeidbaren Veränderungen zu tun, dann handelt es sich schlicht um menschliches Versagen. Und hier haben wir alle, auch der Berufsstand des Tierarztes eindeutig versagt:“ […] „Natürlich sind Zuchtverbote die einfachste, schnellste und spektakulärste Lösung eines Zuchtproblems, aber dieser Weg ist etwas zu einfach. Er ist phantasielos und dokumentiert Hilflosigkeit. Uns stehen bei heutigem Wissen viele Möglichkeiten zur Verfügung, um eine Rasse zu sanieren. Man muss es nur wirklich wollen und man braucht Zeit. Wunder sind nicht zu erwarten.“

Dem ist zu entgegnen, dass wir Tierärzte nicht nur seit vielen Jahren sehr kritisch hingesehen und schließlich von der Legislative eine bessere Definition des Begriffs “Qualzucht“ eingefordert haben, sondern auch enttäuscht zur Kenntnis nehmen mussten, dass die Zuchtverbände und entsprechende Dachorganisationen durch den inzwischen zu einem großen Wirtschaftsunternehmen gewordenen Zirkus der persönlichen Eitelkeiten (Zuchtausstellungen), die Zucht von defektbelasteten Tieren nicht etwa vermindert oder gar verhindert, sondern sogar weiter gefördert haben. Indem Tiere bewertet und mit Ausstellungstiteln überhäuft werden, die „eigentlich“ unter das Zuchtverbot des §11b TierSchG fallen, entwickeln sich geduldete Parallelgesellschaften auf die Tierärzte nur noch begrenzten Einfluss haben.

Internationale Zusammenarbeit bringt Fortschritte:

Nur gemeinsam sind wir erfolgreich im Kampf gegen Defektzuchten. Hunde- bzw. Tierzucht und Tierhandel sind internationale Geschäfte, denen auch nur im internationalen Verbund erfolgreich begegnet werden kann.

So haben zum Beispiel die folgenden Organisationen:

The Federation of Veterinarians of Europe; VIER PFOTEN / FOUR PAWS – European Policy Office; European Society of Veterinary Clinical Ethology (ESVCE); National Animal Welfare Inspection Service, The Netherlands; Dr Candace Croney- Purdue University; Uri Baqueiro Espinosa- Queen’s University Belfast; Tori McEvoy- Queen’s University Belfast; Nicole Pfaller- Queen’s University Belfast; Mike Jessop; Dr Elly Hiby; Dr Louisa Tasker; Iwona Mertin

im November 2020 dieses gemeinsame Statement veröffentlicht:

About dogs

Der Haushund (Canis familiaris) hat eine enge und uralte Geschichte mit dem Menschen; gemeinsam haben sich Hunde und Menschen koevolutiv entwickelt; sie können miteinander kommunizieren und kooperieren und sind in der Lage, die Absichten des jeweils anderen zu verstehen und sind sensibel für dessen unterschiedliche Emotionen. Die Fähigkeit des Hundes, enge soziale Bindungen mit Menschen einzugehen, hat dazu geführt, dass er zu einem der beliebtesten Begleittiere in menschlichen Haushalten geworden ist. Hunde sind sehr sozial (mit anderen Hunden und Menschen), intelligent, verspielt und agil; sie sind oft morgens und abends aktiver, während sie große Teile des Tages in Ruhe verbringen. Ihr Verhalten und ihr Aussehen wurden vom Menschen durch selektive Zucht geformt. Hunde haben ein komplexes und flexibles Sozialleben – sie können in mehrgeschlechtlichen Gruppen aus verwandten und nicht verwandten Individuen leben, sofern die Ressourcen dies zulassen; sie kooperieren, um ihr Revier zu verteidigen, aber nicht, um Junge aufzuziehen, und sie bilden soziale Hierarchien mit anderen Hunden. Frei umherstreifende Hunde plündern überwiegend und beschaffen sich Nahrung von menschlichen Quellen, anstatt zu jagen. Hunde kommunizieren über visuelle (Körperhaltung und Gesichtsausdruck) und chemische Signale (übertragen durch Urin, Kot und Kratzen am Boden); sie verfügen über eine breite Palette von Rufen und Lauten, die Aufschluss über ihren emotionalen Zustand geben. Diese Arten der Kommunikation helfen dabei, ihre sozialen Interaktionen mit anderen Hunden zu moderieren.“

Dazu hier der Link zum Dokument RESPONSIBLE DOG BREEDING GUIDELINES

https://ec.europa.eu/food/sites/food/files/animals/docs/aw_platform_plat-conc_guide_dog-breeding.pdf

Es finden sich dort in Kapitel 3.3 „Inherited disorders“ nähere Ausführungen zum Umgang und zur Bewertung genetisch bedingter Erkrankungen und Defekte.

Wichtig scheint uns noch zu erwähnen:

Das Qualzuchtgutachten stammt aus dem Jahr 1999. Der Tierschutz wurde im Jahr 2002 mit Art.20a GG als Staatsziel etabliert. Im Tierschutzgesetz erfuhr im Jahr 2013 der §11b die letzte entscheidende Änderung, die den tatsächlichen Vollzug erleichtern sollte. Es reicht daher im Vollzug nicht mehr, sich allein auf ein zwanzig Jahre altes Gutachten zu berufen, welches weder dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, noch den inzwischen verbesserten rechtlichen Vorschriften entspricht.

Im Laufe der Zeit ist eine deutliche Veränderung der Stellung des Tieres in der Gesellschaft und damit in der Gesetzgebung zu beobachten.

Zudem entspricht es auch der gewandelten Ethik- und Moralvorstellung einer aufgeklärten Gesellschaft, den intrinsischen Wert eines Tieres anzuerkennen, d.h. die Anerkennung des Eigenwertes von Tieren als fühlende Wesen, so wie es in anderen Tierschutzgesetzgebungen schon Eingang gefunden hat. Die geforderten, uns allen bekannten Freiheiten von a) Durst, Hunger und Mangelernährung; b) physischem und physiologischem Unbehagen; c) Schmerzen, Verletzungen und Krankheiten; d) Angst und chronischem Stress und e) Einschränkung ihres natürlichen Verhaltens, sind auch im Zusammenhang mit Qualzuchten für alle Tiere vollumfänglich zu berücksichtigen.